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Theodor Icklers Sprachtagebuch

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23.11.2005
 

spazierengehen
Infinitiv als Adverb?

Im Jahre 1954 veröffentlichte Heinrich Hempel einen immer noch lesenswerten Aufsatz „Wortklassen und Bedeutungsweisen“.
Darin schrieb er: "Namentlich ist, wenn ich mich nicht täusche, in 'ich gehe, bin spazieren' der Infinitiv nicht mehr als solcher, sondern eher als Adverb gefühlt."

Eine feine Beobachtung, die übrigens, wie Stefan Stirnemann neulich herausgefunden hat, auch schon bei Karl Ferdinand Becker steht.



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Kommentare zu »spazierengehen«
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Kommentar von Ivan Panchenko, verfaßt am 22.10.2022 um 18.23 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=294#49815

Zu Gassi bin ich auf folgende Erklärung gestoßen (Küpper 1997/2000, zitiert nach https://link.springer.com/chapter/10.1007/978-3-658-35433-6_2): „den Hund gassi führen = den Hund zur Notdurftverrichtung auf die Straße führen. ‚Gassi‘ ist verkürzt aus stud ‚gassatim gehen = umherschwärmen‘ (dies ist umgewandelt aus ‚grassatum gehen‘, das wiederum zurückgeht auf lat ‚grassari = hierhin und dorthin schwärmen‘). Spätestens seit 1900.“

In Wo liegt der Hund begraben? von Michael Krumm (2010) aus dem Hause PONS heißt es wiederum: Gassi kann man ganz ohne Gasse gehen. Denn Gassi kommt nicht von „Gasse“, sondern von „gassatine gehen“, das früher in der Studentensprache nächtliche Sauftouren bezeichnete. Jedoch habe ich für gassatine keinen Beleg abseits von Erklärungen von Gassi gefunden, tatsächlich verwendet wurde gassatim/gassatum/gassaten, und das kommt ohne das r doch wohl von Gasse (pseudolateinisch, vgl. schnabulieren), der Grimm meint sogar: „bei gassari wird aber auch lat. grassari sich eingemischt haben, […] aber das ältere und ursprüngliche musz doch gassatim, gassatum sein, hervorgerufen durch gasse[.]“

Kommt Gassi nun wirklich von gassatim? Meine Vermutung: Es ist einfach eine Verniedlichungsform von Gasse (vgl. Leckerli), die ungrammatisch mit dem Verb gehen gebraucht wird, als würde man vereinfachtes Deutsch mit Hunden reden. Vor diesem Hintergrund ist die Großschreibung angemessen, es ist eben Deutsch für Hunde.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 21.10.2022 um 05.22 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=294#49808

Das aus anderen Gründen hier schon oft angeführte Gassi gehen wirft auch eine orthographische Frage auf. Da es keine Gassi gibt, ist die Wortart nicht genau zu bestimmen. Man könnte an gassigehen denken, also: Sie geht gassi.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 07.02.2010 um 12.49 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=294#15699

Guter Gedanke! Das Beispiel ist weder von Eisenberg noch von mir glücklich gewählt.
Besser wäre (aus meiner Belegsammlung) Er fährt nach Frankfurt die Messe besuchen. Und ohne Fortbewegungsverb:
Aber meistens sitze ich natürlich im italienischen Eiscafé Teenager beobachten. (Eckhard Henscheid: Geht in Ordnung – Sowieso – Genau. Frankfurt 1979:20)

(Man kann so testen: Er geht in die Stadt, und zwar Milch holen. Aber: *Er geht, und zwar spazieren. – Mehr dazu hier.)
 
 

Kommentar von Wolfram Metz, verfaßt am 07.02.2010 um 11.04 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=294#15698

Mir scheint hier die Frage eine Rolle zu spielen, was genau man sich unter »Milch holen« vorstellt. Wenn man »holen« im Sinne von einholen, einkaufen versteht, dann fährt Karl (z. B. mit dem Fahrrad oder dem Wagen) los, um im Geschäft etwas zu tun, nämlich Milch holen. Faßt man »holen« dagegen als das Herbeischaffen auf, also in dem Sinne, daß Karl dafür sorgt, daß die Milch vom Geschäft in sein Haus gelangt, dann sind holen und fahren bzw. das Milchholen und das Milchholenfahren eins. In diesem Fall würde nicht das Holen das Wozu des Fahrens bezeichnen, sondern das Fahren das Wie des Holens.

Könnte das die unterschiedlichen Bewertungen erklären?
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 07.02.2010 um 06.27 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=294#15694

„Semantisch kommt der Typ 1b [Egon geht schwimmen] einem finalen Adverbial nahe. Der Vergleich von Karl fährt Milch holen mit dem finalen Infinitiv Karl fährt, um Milch zu holen zeigt aber, daß nicht Finalität im engeren Sinne vorliegt. Finalität ist eine Relation zwischen voneinander getrennten Sachverhalten. Eine solche Trennung ist bei Karl fährt Milch holen nicht gegeben.“ (Eisenberg II, 1999:341)

Wieso denn nicht? Sie ist nur bei spazierengehen (und betteln gehen) nicht gegeben.
 
 

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