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Theodor Icklers Sprachtagebuch

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23.03.2010
 

„Selbstverständlich“
Weiteres zur Durchsetzung der Rechtschreibreform

Das Bundesjustizministerium hat eine „Handbuch der Rechtsförmlichkeit“ in neuer Auflage herausgebracht, das u.a. bei der Durchsetzung der Rechtschreibreform hilft:

»Hinweise der Verfasser und Verfasserinnen

Seit der letzten Auflage im Jahr 1999 gab es verschiedene Anlässe, das Handbuch der Rechtsförmlichkeit für eine Neuauflage zu bearbeiten: So war die Gemeinsame Geschäftsordnung der Bundesministerien, auf deren Vorgaben zur Gestaltung von Rechtsvorschriften das Handbuch bislang verwies, grundlegend novelliert worden. Die Rechtsetzung der Europäischen Union hat sich weiterentwickelt und ihr Einfluss auf unsere Rechtsvorschriften hat zugenommen. Die Föderalismusreform und Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts zum Beispiel zur Änderung von Verordnungsrecht durch Parlamentsgesetze wirken sich auf die Gestaltung der Gesetze aus. Auch die Rechtschreibreform war zu berücksichtigen.«

Hatte das Bundesverfassungsgericht die Kritiker noch mit dem Satz beruhigt, die Neuregelung gelte nur für die Schule, so heißt es im Handbuch:

»Selbstverständlich gelten die Regeln der deutschen Rechtschreibung.«

Aber auch wieder nicht zu sehr, denn:

»Jedoch gibt es in der Normensprache eine Besonderheit: Ist die bisherige Schreibung nach der Rechtschreibreform neben der neuen weiterhin zulässig, soll sie auch weiter verwendet werden. Ziel ist, die Einheitlichkeit der Normensprache weitgehend zu erhalten (Beispiele: „auf Grund“ statt „aufgrund“; „selbständig“ statt „selbstständig“).«

Ferner heißt es:

»Seit dem 1. August 2006 gelten die neuen Regeln der Rechtschreibung auch in der Normsprache. Das Bundesministerium des Innern und das Bundesministerium der Justiz halten die obersten Bundesbehörden durch Gemeinsame Rundschreiben auf dem aktuellen Stand der Neuerungen. Das komplette Regelwerk sowie ein Wörterverzeichnis sind in einer Beilage zum Bundesanzeiger veröffentlicht worden.

Der Redaktionsstab der Gesellschaft für deutsche Sprache beim Deutschen Bundestag ist spezialisiert auf Sprachberatung zu Gesetzentwürfen. Er gibt Auskunft und Rat zu allen Fragen der Wortwahl und Wortbedeutung, der Gestaltung von Texten, der Schreibweisen und Zeichensetzung sowie zur Neuregelung der Rechtschreibung. Ihm sind nach § 42 Absatz 5 Satz 3 GGO grundsätzlich alle Gesetzentwürfe zur Prüfung auf sprachliche Richtigkeit und Verständlichkeit zuzuleiten. Dies sollte so früh wie möglich geschehen, spätestens jedoch, bevor sie dem Kabinett zur Beschlussfassung vorgelegt werden. Der Redaktionsstab weist auf sprachliche Fehler hin und bietet Formulierungsalternativen an.«

Das Handbuch kann hier heruntergeladen werden:

http://hdr.bmj.de/vorwort.html

Mit dem Hinweis, man werde über die Rechtschreibung „auf dem aktuellen Stand der Neuerungen“ gehalten, ist der Begriff der Rechtschreibung ad absurdum geführt. Man muß sich auch gegenwärtig halten, daß alle Beteiligten sich selbstverständlich über die Absurdität der Rechtschreibreform im klaren sind und genauso darüber denken wie wir. Daher ja auch der klägliche Versuch, nur das Nötigste mitzumachen. Aber die Behörden bis hinauf zur Bundesregierung haben sich nun einmal mit Haut und Haaren diesem Unwesen verschrieben, und nun gibt es kein Zurück mehr.



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Kommentare zu »„Selbstverständlich“«
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Kommentar von Wolfgang Jäger, verfaßt am 05.04.2010 um 15.31 Uhr   Mail an
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1292#15922

Ein Hinweis zum Stand der allgemeinen Durchsetzung:
Am 16.03.10 strahlte WDR5 in der Sendung Politikum unter "Wiedervorlage" einen Beitrag zur Reform aus, in dem sich Prof. Gerhard Augst – kaum zu glauben, aber wahr – als Opfer der Politik darstellen darf, die seine Reform zum Stückwerk verwässert habe. Nachzulesen ist dies hier (www.wdr5.de).
 
 

Kommentar von Kurt Albert, verfaßt am 29.03.2010 um 17.58 Uhr   Mail an
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1292#15909

Lieber Herr Ickler, ich bin aufgrund meiner Erfahrung da leider gar nicht sicher, daß "alle Beteiligten sich selbstverständlich über die Absurdität der Rechtschreibreform im klaren sind" – es gibt so viele, in der Germanistik, in Verlagen, in Redaktionen, auch in Bundeseinrichtungen ..., die da eher ein Moment der Sprachentwicklung und der Modernität sehen (oder erkennen wollen).
Natürlich stimmt der Schlußsatz: "Aber die Behörden bis hinauf zur Bundesregierung haben sich nun einmal mit Haut und Haaren diesem Unwesen verschrieben, und nun gibt es kein Zurück mehr."
 
 

Kommentar von Warum eigentlich nicht..., verfaßt am 24.03.2010 um 13.14 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1292#15904

...selbst verständlich?
 
 

Kommentar von Christian Dörner, verfaßt am 23.03.2010 um 21.43 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1292#15901

Die Schreibung aufgrund ist zwar nicht neu, entspricht aber nicht der bisherigen Behördenrechtschreibung (und dies ist wohl gemeint), welche vor der Reform strikt der Hausorthographie der Dudenredaktion folgte, sich also neben auf Grund auch auf die Varianten an Hand, an Stelle, Grafik, Telefon, Foto usw. festlegte.

Seit 1996 verwendet die Dudenredaktion hingegen aufgrund, anstelle usw. (an Hand soll gar nicht mehr zulässig sein) und natürlich auch selbstständig. Diesen Festlegungen folgen die Behörden nicht, da sie grundsätzlich bei ihren alten Schreibungen bleiben, sofern diese nach wie vor dem amtlichen Regelwerk entsprechen.

Daß durch diese Entscheidung nun in Gesetzestexten auf Grund, an Stelle, aber anhand geschrieben werden muß, ist eine ganz interessante Nebenfolge.
 
 

Kommentar von David Konietzko, verfaßt am 23.03.2010 um 20.36 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1292#15899

aufgrund ist nicht neu. Da hat sich wohl jemand auf eine der zahlreichen fehlerhaften Gegenüberstellungen reformierter und herkömmlicher Schreibweisen verlassen.

Ob es wohl auch nur einen einzigen Menschen gibt, der die derzeitige Schulorthographie ganz beherrscht?
 
 

Kommentar von Germanist, verfaßt am 23.03.2010 um 18.37 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1292#15897

Hochdeutsch war gestern; jetzt gilt Normdeutsch. Folglich ist Hochdeutsch die Sprache vor 2006. Gut daß man jetzt offiziell unterscheiden darf zwischen bewährtem Hochdeutsch und reformiertem Normdeutsch. Wollen wir uns normen lassen? Aber die Württhemberger brauchen jetzt gar nicht mehr Hochdeutsch lernen. Oder werden sie jetzt sagen: "Wir können alles außer Normdeutsch."?
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 23.03.2010 um 17.28 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1292#15894

Es wäre mal ganz interessant, die vorige Auflage (1999) zu vergleichen. Hat jemand die zufällig oder findet sie im Internet? Es sei noch einmal an das Rundschreiben des Justizministeriums erinnert, das die Reform in ihrer ursprünglichen Fassung durchsetzen half, sobald das Bundesverfassungsgericht die Bahn freigemacht hatte (siehe hier).

Da die Beamten außerdem gehalten sind, "geschlechtergerechte Sprache" zu verwenden (s. d. Handbuch!), wird die bloße sprachliche Form zu einem Slalomrennen.

Das Ganze ist neben der Schulbuchmisere und den umgestellten Medien ein weiterer Zipfel von jenem ungeheuren System von Texten, dessen schiere Masse es geradezu untunlich erscheinen läßt, die immer noch mangelhafte Version von 2006 ein weiteres Mal zu ändern. Dagegen wird sich der Apparat mit Händen und Füßen wehren.
 
 

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