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Nachrichten rund um die Rechtschreibreform

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11.08.2015
 

Mario Andreotti
«Hauptsache, man versteht uns»
(Hier die korrekte Originalfassung)

Nimmt man die heftigen Debatten über die Rechtschreibreform vor gut 20 Jahren beim Wort, dann sind die Deutschsprechenden lauter Sprachliebhaber, denen nichts fremder ist als sprachliche Experimente, zumindest was die Mysterien der Orthographie betrifft.
Hält man sich indessen an den Umgang mit der Sprache, wie er im Alltag, aber auch in den meisten Medien geübt wird, so ist die deutsche Sprache ihren Benützern so gleichgültig wie nur weniges sonst, fortwährend verhunzt, ohne dass das noch besonders auffiele oder irgendwelche Folgen hätte. Dabei ist die Sprache unser wichtigstes Instrument. Über sie soll ja Information transportiert und verständlich gemacht werden. Wenn die Sprache versagt, versagt die Kommunikation. Das ist zwar eine Binsenwahrheit, die im Grunde jeder bejaht, doch in der Praxis kaum beachtet wird. «Hauptsache, man versteht uns», heisst es dann, selbst von meinen Studierenden, beschwichtigend. Dabei ist leicht nachzuweisen, dass durch Sprachverhunzung auch Unschärfe in das Denken und damit in die Kommunikation dringt. Wer unklar schreibt, denkt nicht klar. Davon abgesehen, hat Sprache auch sehr viel mit Kultur zu tun, verrät sie noch viel über Geist und Würde ihrer Benützer.

Eine Sprache wird beschädigt

Es kann hier nicht darum gehen, häufig vorkommende sprachliche Fehler aufzulisten. Aber an zwei Satzbeispielen soll doch gezeigt werden, wie unsorgfältig, ja schludrig wir mit unserer Sprache zunehmend umgehen. Das erste Beispiel betrifft den Missbrauch des Konjunktivs, mit dem wir häufig das Gegenteil dessen sagen, was wir eigentlich ausdrücken wollen. Mit dem Satz «Er sagt, er wäre gestern da gewesen» möchte der Sprecher wohl seine Anwesenheit bekunden. Stattdessen drückt er damit seine Abwesenheit aus, weil er offenbar verhindert war. Wäre er anwesend gewesen, müsste es richtig heissen: «Er sagt, er sei gestern da gewesen.» Der falsche Gebrauch des Irrealis' (würde, wäre, hätte) führt zu einem Sprachverlust, indem wir allmählich die Fähigkeit verlieren, über etwas zu schreiben, was hätte sein können, aber nicht war. Das zweite Beispiel gilt der Zeitenfolge. Aussagen können in einem verschiedenen zeitlichen Verhältnis zueinander stehen – ein Sachverhalt, der heute, selbst in den Medien, kaum noch beachtet wird. Da lassen sich Sätze wie der folgende lesen: «Nachdem die Regierung die Initiative für unzulässig erklärte, beschwerte sich der Verein.» Doch der Verein konnte sich erst beschweren, nachdem die Regierung die Initiative für unzulässig erklärt hatte. Der Nebensatz signalisiert Vorzeitigkeit und muss daher in einer anderen grammatischen Zeit als im Präteritum, nämlich im Plusquamperfekt, stehen. Das Beispiel zeugt von einem Verlust der Denkfähigkeit.

Wird Deutsch zur Provinzsprache?

Ans Mark jeden Sprachfreundes geht schliesslich der penetrante Hang zu mög-lichst vielen Anglizismen, so dass aus dem Deutschen ein «Denglisch» wird. Da kann man dann Sätze lesen wie: «Die Kunden bezahlen ihre online bestellte Ware am Drive-in cashless». Heute geht man in den «Shop» statt ins Geschäft, spricht von «Sale» statt von Verkauf, von «Slow motion» statt von Zeitlupe. Häufig dienen englische Wörter dazu, einen Sachverhalt zu verschleiern oder zu beschönigen. Aus einem Hausmeister wird dann schnell ein «Facility Manager», aus einem Totengräber ein «Funeral Master» und aus einer Klobürste gar ein «toilet cleaning set». Es soll hier nicht einem Sprachpurismus, der ebenfalls einschränkend wirkt, das Wort geredet werden. Aber wenn das so weitergeht, ist das Deutsche bald nicht mehr fähig, aus eigener Kraft neue Wörter zu bilden. Es verarmt und wird, weltweit gesehen, zu einer Provinzsprache.


Quelle: St. Galler Tagblatt
Link: http://www.tagblatt.ch/intern/meinungen/meinung/Hauptsache-man-versteht-uns;art120369,4315737


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Kommentare zu »«Hauptsache, man versteht uns»«
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Kommentar von Redaktion, verfaßt am 23.09.2015 um 00.59 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=731#10274

Der Zwischentitel Eine Sprache wird beschädigt ist dem Buchtitel von 2003 entnommen: Deutsch. Eine Sprache wird beschädigt (herausgegeben von der Bayerischen Akademie der Schönen Künste in Zusammenarbeit mit der Forschungsgruppe Deutsche Sprache) – siehe hier.


Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 11.05.2017 um 17.03 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=731#10818

Bin zufällig auf ein Video gestoßen, in dem Stefanowitsch und Paulwitz über den Schutz der deutschen Sprache diskutierten. (https://www.youtube.com/watch?v=hGy4foOtnBo) Ich habe nur ein paar Minuten gesehen. Paulwitz beklagt das Sale und meinte, deutsche Unternehmen sollten ihre Produkte auf deutsch anbieten, worauf Stefanowitsch unter dem Beifall der Zuschauer sagt, Sale sei deutsch, ungeachtet der Herkunft.
Nun, das alles kann und soll man nicht so ernst nehmen, es ist ja auch nur ein Streit um Worte.

Wie die meisten wissen (und hier auch schon erwähnt wurde), macht der Kaufhof ein Spiel daraus, daß er seinem Schlagwort Sale unabänderlich die Übersetzung reduziert im Stil eines Wörterbucheintrags hinzufügt. Damit widerlegt er gewissermaßen Stefanowitschs Bonmot.

Sale ist allenfalls ein Fremdwort, vorläufig durch die fremde Phonetik (und Schreibweise) gekennzeichnet. Erst wenn der Duden es aufnimmt und ihm die erwartbare vulgäre Aussprache [ze:l] beigibt, ist es integriert.

Übrigens habe ich Sale noch nie gehört, auch meine sehr englischfreudige Familie würde es nie gebrauchen.


Kommentar von Horst Ludwig, verfaßt am 12.05.2017 um 18.44 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=731#10819

Zu "unter dem Beifall der Zuschauer": Schliesslich kann man ja stolz darauf sein, doch auch eine Fremdsprache gelernt zu haben und auch etwas davon zu verstehen, und es freut einen, das auch mal professoral anerkannt zu bekommen.


Kommentar von Klaus Achenbach, verfaßt am 14.05.2017 um 16.16 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=731#10820

Et tu, Brute?

Lieber Prof. Ickler,

beteiligen Sie sich nun auch an der „Barisierung“ der deutschen Sprache (erwartbar)?

Übrigens ist sale im Internet-Duden schon aufgeführt. Die dort angegebene Aussprache stimmt erstaunlicherweise durchaus mit der englischen überein (u.a. stimmloses s).


Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 14.05.2017 um 17.16 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=731#10821

Ich sehe das Problem nicht. erwartbar ist doch üblich und ganz ordentlich gebildet?



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