29.10.2013

Schmachthagens Reformpropaganda geht weiter

Schlossstadt: reichlich s-haltig, aber richtig

Treffen drei gleiche Buchstaben aufeinander, so bleiben sie erhalten. Das war früher anders, als die Schifffahrt noch eine Schiffahrt war.

Wenn bei Komposita (Wortzusammensetzungen) drei gleiche Buchstaben zusammentreffen, darf keiner von ihnen wegfallen. Aus \"Schiff\" und \"Fahrt\" wird Schifffahrt, aus \"Sauerstoff\" und \"Flasche\" wird Sauerstoffflasche, aus \"Schloss\" und \"Stadt\" wird Schlossstadt, und aus \"fett\" und \"triefend\" entsteht fetttriefend. Diese Regel der Rechtschreibreform ist so klar und einfach, dass nicht nur Klein Fritzchen, sondern auch Mehmet und Igor sie anwenden können, falls sie nach der Phase der Anlauttabellen und Buchstabenbögen in der 1. Klasse überhaupt noch für irgendwelche Regeln empfänglich sind.

Meine überaus geschätzte Kollegin Angelika aus dem Seitenflügel des 7. Stocks sah zweifelnd auf die drei t in \"fetttriefend\", runzelte die Stirn und erklärte kategorisch: \"Das gab es früher nicht!\"

Wenn jemand in diesem Zusammenhang von früher spricht, bedeutet das, dass er oder sie in der Erinnerung in den Komparativ gewechselt ist. Einst war alles besser, schöner, einfacher, kälter, wärmer oder billiger. Je älter meine Mutter wurde, desto verklärter gerieten ihre Erzählungen über die Zeit vor dem Ersten Weltkrieg. Im Sommer schien ausschließlich die Sonne, und im Winter lag der Schnee durchgehend so hoch, dass sie die Dorfschule im Nebenort nicht erreichen konnte.

Wörter mit drei gleichen Buchstaben hintereinander gab es bereits vor der Reform, eben fetttriefend, Sauerstoffflasche, Pappplakat, Auspuffflamme oder Balletttruppe, was einige Reformverweigerer nicht wahrhaben wollen. Ich schlug die 20. Auflage des Rechtschreibdudens von 1991 auf, die letzte vor der Reform, und präsentierte dort die Regel 204. \"Das ist ja der blanke Horror!\", staunte meine Kollegin, \"aber Schiffahrt schrieb man damals doch mit zwei f?\" Auch hierbei drohte eine böse Falle. Rutschte das Wort ans Zeilenende und musste getrennt werden, trat der dritte Konsonant wieder ein. Schiff-fahrt wie auch Brenn-nessel oder Wett-turnen wurden ergänzt.

Diese Kolumne soll sich mit der Sprache und den Regeln beschäftigen, die heute gelten. Ich musste jedoch schon einige Male in die orthografische Vergangenheit abschweifen, sodass jetzt zum Vergleich die vollständige Regel aufgeführt werden soll, wie sie bis 1998 richtig war, wie sie heute aber teilweise nicht mehr richtig ist: Treffen bei Wortbildungen drei gleiche Konsonanten zusammen, dann setzte man nur zwei, wenn ein Vokal (Selbstlaut) folgte. Stand hinter den drei gleichen Konsonanten noch ein anderer, vierter Konsonant, so fiel kein Buchstabe weg – also: \"Ballettänzer\", aber Balletttruppe.

Doch wie steht es mit dem \"Ballettheater\"? Es hätte doch eigentlich Balletttheater heißen müssen, denn mit dem h folgt ein weiterer Konsonant. Nein, th galt hier als ein Buchstabe, weil es sich um die Transkription des griechischen Buchstabens Theta handelte. Wahrscheinlich mussten die Schüler seinerzeit erst das Graecum ablegen, bevor sie auf die deutsche Rechtschreibung losgelassen werden konnten.

Noch einmal: Jetzt heißt die Regel kurz und eindeutig: Treffen bei der Wortbildung drei gleiche Buchstaben zusammen, so fällt keiner von ihnen weg. Wer diese Vereinfachung der Reform nicht einzusehen vermag, der gebe wenigstens nicht den Reformern die Schuld. Meine Kollegin schaute nach wie vor zweifelnd auf die Überschrift mit der \"Schlossstadt\" Ahrensburg. \"Das sieht aber nicht schön aus\", meinte sie. Mag sein. Eine Schreibweise ist jedoch eine Frage der Orthografie und nicht der Ästhetik.

Eine Ausnahme bilden früher wie heute die Wörter dennoch, Drittel und Mittag, weil sie nicht mehr als Komposita angesehen werden. Bindestriche sollten bei der Aneinanderreihung gleicher Konsonanten nur in Ausnahmefällen gesetzt werden, und wenn, dann sinngemäß: statt \"Wertpapierkenn-Nummer\" besser Wertpapier-Kennnummer.

Anders verhält es sich mit drei gleichen aufeinanderfolgenden Vokalen. Substantive werden gekoppelt wie Kaffee-Ersatz, Tee-Ernte, Hawaii-Inseln oder Schnee-Eifel. Dies gilt nicht für zusammengesetzte Adjektive und Partizipien: schneeerhellt, seeerfahren. Übrigens, für die konservativen Orthografen unter uns: Wenigstens die Regel mit den Vokalen hat die Rechtschreibreform unbeschädigt überstanden.


Der Verfasser, 72, ist \"Hamburgisch\"- Autor und früherer Chef vom Dienst des Abendblatts. Seine Sprach-Kolumne erscheint dienstags.

Quelle: Hamburger Abendblatt
Link: http://www.abendblatt.de/nachrichten/article121308908/Schlossstadt-reichlich-s-haltig-aber-richtig.html

Die Quelldatei zu diesem Ausdruck finden Sie unter
http://www.sprachforschung.org/index.php?show=thorheiten&id=194