15.06.2006


Theodor Ickler

Wissenschaftliche Buchgesellschaft

Kleine Studie über Mitläufertum

Der Geschäftsführende Direktor der sogenannten Wissenschaftlichen Buchgesellschaft, Andreas Auth, schrieb am 21.2.2005 an einen Bekannten:

„Bei allem Verständnis, dass (!) ich für Ihre Schwierigkeiten mit der neuen Rechtschreibung habe, bitte ich Sie, auch unsere Situation zu verstehen und zu sehen, dass sich unsere Bücher durch eine hohe inhaltliche Qualität auszeichnen.“

Zuvor hatte er dargelegt, daß es auch in seinem Hause viel Kritik an der Reform gebe. Aber:

„Auf der anderen Seite bitte ich Sie aber um Verständnis dafür, dass die neue Orthographie nun einmal existiert und laut Gesetz ab dem 1. August 2005 verbindlich gilt – auf Dauer wird sich dem niemand entziehen können.“ - „Wir können die neue Rechtschreibung auch deshalb nicht einfach ignorieren, weil unsere Verlagswerke ja auch an Schulen und Universitäten eingesetzt werden, die schon bisher zur Beachtung der neuen Rechtschreibregeln verpflichtet waren.“

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Ich selbst hatte meine lange Mitgliedschaft (noch aus Studentenzeiten) schon am 9.7.1999 gekündigt. Hier meine Austrittserklärung, an die sich ein Briefwechsel mit dem Lektor Martin Bredol anschloß:

Sehr geehrte Damen und Herren,

hiermit erkläre ich meinen Austritt aus der Wissenschaftlichen Buchgesellschaft zum 31.12.1999.

Begründung: Wie der neue Jahreskatalog zeigt, haben Sie, ohne die Mitglieder zu befragen und ganz sicher gegen deren mehrheitlichen Wunsch, Ihre Orthographie umgestellt. Es ist zu befürchten, daß dies nicht auf den Katalog beschränkt bleibt, sondern auch Ihre Eigenproduktion an Büchern erfassen wird.

Zwar ist Ihnen der Versuch gründlich mißlungen, denn außer der ss-Schreibung haben Sie alle Neuerungen der sogenannten Rechtschreibreform zu hundert Prozent verfehlt (auch das ist eine Leistung der Sonderklasse!). Aber das ganze Unternehmen beweist hinreichend, daß Ihnen der Leser weniger bedeutet als die Unterwerfung unter die Wünsche der Kultusminister.

Zu Ihrer Information füge ich noch hinzu, daß die amtliche Neuregelung wegen ihrer außerordentlichen Mängel keinerlei Aussicht hat, die Orthographie der Zukunft zu werden. Alle Zeitungen stellen zwar am 1. August um, aber keine auf die amtliche, in den Schulen noch gelehrte Neuregelung, sondern es sind die unterschiedlichsten Hausorthographien in Arbeit oder bereits eingeführt, allesamt übrigens im Sinne eines Rückbaus der mißlungenen Reform. Damit ist die Einheit der deutschen Rechtschreibung, das große Werk des vorigen Jahrhunderts, abgeschlossen 1902, für lange Zeit zerstört. Die Buchgesellschaft macht sich mitschuldig; ich will damit nichts zu tun haben.

Sollten Sie irgendwann zu einer Orthographie zurückfinden, wie sie unter gebildeten Menschen üblich ist, so werde ich selbstverständlich erneut meine Mitgliedschaft beantragen.

Mit freundlichen Grüßen


Zum Magazin 03/99 schrieb ich am 19.9.1999:

Sehr geehrte Damen und Herren,

es ist zwar nett von Ihnen, die Mitglieder wenigstens nachträglich von Ihrem Vorhaben zu unterrichten, alle neuen Bücher auf „die“ neue Rechtschreibung umzustellen, aber noch netter wäre es gewesen, die Mitglieder vorher zu fragen, ob sie dies auch wünschen. Da die Reform der Rechtschreibreform bevorsteht, besteht nun die Gefahr, daß Ihre umgestellten Bücher schon in Kürze gleichsam als Fehldrucke aus einer sonderbaren Übergangszeit wirken werden. Die Rechtschreibreform ist durch staatliche Gewalt zu einer Scheinblüte gebracht worden, aber schon sehr bald wird es ein böses Erwachen geben.
Offenbar unterschätzen Sie auch die Tücken und Fallen der neuen Rechtschreibung. So enthält ja schon das kurze „Editorial“ zum genannten Magazin nicht weniger als vier schwere Verstöße gegen die selbstgewählte Orthographie: 50jährig, als letztes, kennenlernen, ausserdem.
Nun, mich betrifft es ja nicht mehr, aber ich glaubte Ihnen doch diesen Hinweis schuldig zu sein.

Mit freundlichen Grüßen
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Am 15.11.1999 erschien das neue Magazin. Darin wurde dem Leser viel „Spass“ gewünscht. Die „Enzyklopaedia Britannica“ sollte einen „Atlass“ haben, und Hogarth war ein „Augenschmauß“. Damals war übrigens der Katalog des Bertelsmann-Buchclubs noch nicht auf Reform umgestellt! Man hatte es also in Darmstadt ganz besonders eilig.
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An der ganze Geschichte ist bemerkenswert, daß die Mitglieder niemals befragt, sondern in obrigkeitlicher Manier bevormundet wurden. Der Geschäftsführende Direktor zeigt eine verblüffende Ignoranz der rechtlichen Lage, ganz zu schweigen vom grotesken Bestehen auf „Qualität“ ungeachtet der sprachlichen Verwahrlosung – als hätte das eine mit dem anderen gar nichts zu tun. Der orthographische Fehler in seinem eigenen Brief muß ausnahmsweise erwähnt werden, weil er so bezeichnend ist für die Mischung aus Gleichgültigkeit und Tyrannei.
Nun stehen Hunderte von WB-Büchern in schlechter und außerdem schon mehrfach überholter Orthographie in den Regalen, trotz frühzeitiger Warnung. Immerhin haben wir einen weiteren Fall von deutschem Mitläufertum kennengelernt. Zum Austritt reicht es allemal.


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