24.12.2015


Theodor Ickler

Grammatische Exerzitien 12

Thema und Rhema, Funktionale Satzperspektive und Verwandtes

Der Satzakzent als Kontrastmarkierung


Unter „Thema und Rhema“, „Funktionale Satzperspektive“, "Informationsstruktur“, „Kommunikative Dynamik“, „Topic - Comment“ und weiteren Schlagworten diskutiert man einige Erscheinungen, die hauptsächlich durch die sprachlichen Mittel von Reihenfolge und Betonung verwirklicht werden; auch lexikalische Mittel (Hyponymie, Hyperonymie, Pronominalisierung) und syntaktische (Spaltsätze) tragen dazu bei, sollen hier aber außer Betracht bleiben.

Worum es geht, zeigt eine anekdotische Überlieferung, die amerikanische Sprachwissenschaftler zur Erklärung des Satzakzents herangezogen haben. In Radio und Fernsehen sollen folgende Meldungen gelaufen sein:

Truman died.
Johnson died.


Präsident Truman war schon lange krank und daher im Gespräch gewesen, und nun war er gestorben.
Präsident Johnsons Tod kam überraschend. Gestorben wird immer, das ist bekannt, aber nun war es Johnson, den es erwischt hatte.

Dazu gibt es eine hübsche Illustration aus einem neueren Roman:

‘Fairbrother’s dead?’ roared Howard. The inflection implied that he had been expecting some dramatic change in the status of Barry Fairbrother, but that even he had not anticipated actual death. (J. K. Rowling: The Sudden Vacancy)

Allerdings ist der Satz über Johnson nicht eindeutig, denn er kann auf zwei verschiedene Fragen antworten:
1.Wer ist gestorben?
2.Was ist geschehen?
Das gilt auch für Verbalkomplexe mit anderen Kasusergänzungen:
Ich habe meine Uhr verloren
1.Was hast du verloren?
2.Was ist (dir) passiert?
Die kontrastive Hervorhebung des Elements, das das Verb spezifiziert, ist also nicht von der Hervorhebung des gesamten Verbalkomplexes zu unterscheiden.
Bei
Ich habe meine Uhr verloren
muß schon vorher von der Uhr die Rede gewesen sein.
Ist nur jede solche Hervorhebung kontrastiv? Ich nehme das an (mit Dwight Bolinger, dagegen Wallace Chafe) und unterscheide nur nach den jeweiligen Kontrastpartnern.
Die allgemeinste Kontrastbildung ist die zwischen Laut und Stille, etwas spezifischer zwischen Sprechen und Schweigen.
Roland Harweg unterscheidet eine paradigmatisch kontrastive Betonung von einer syntagmatisch kontrastiven Betonung. Die erstere liegt vor, wenn etwas gegen die alternativen Ausdrücke abgehoben werden soll, die an seiner Stelle hätten stehen können:

Fritz hat gestern fünf Mark gefunden (und nicht etwa Pfennige oder Vogeleier)

(Wieder wäre die Zweideutigkeit der Äußerung zu berücksichtigen. Die speziellere Kontrastierung mit Pfennigen oder Vogeleiern setzt wohl doch voraus, daß in Kontext oder Situation schon solche Vergleichsgrößen gegeben sind. Das „Paradigma“ wird unterderhand eingeschränkt.)

Von syntagmatischer Kontrastivität wäre dagegen dann zu sprechen, wenn der alternative Ausdruck im Text selbst ebenfalls gegeben ist (wobei natürlich auch eine Gegebenheit durch die Situation vorliegen kann):

Fritz hat gestern fünf Mark gefunden (und nicht etwa Otto).

Hier muß ein anderer zuvor erwähnt worden sein.

Man kann diesen Unterschied m.E. auch mit den Begriffen der Gestaltpsychologie fassen: einerseits wird ein Ausdruck als "Figur" gegen einen "Grund" abgesetzt, andererseits eine Figur gegen eine andere Figur.

Will jemand sich bemerkbar machen, kann er irgendein Geräusch von sich geben, und wenn er zu artikulierten Wörtern greift, ist die Wortwahl fast gleichgültig, obwohl es verständlicherweise gewisse Konventionen gibt (hallo usw.).
In fortlaufender Rede erregen relativ stärker betonte Stellen die unwillkürliche Aufmerksamkeit. Diese wahrnehmungsphysiologische Tatsache nutzt der Sprecher, um das Neue vom Bekannten abzuheben, sei es etwas zuvor Erwähntes oder etwas aus anderen Quellen Bekanntes. Es gehört auch zu den Gesetzen der unwillkürlichen Aufmerksamkeit, daß Anfang und Ende einer Ereigniskette besonders auffallen und daher auch gut in Erinnerung bleiben, der Anfang, weil noch nichts vorhergegangen ist, das Ende, weil es nicht durch Nachfolgendes verdeckt wird. Erich Drach hat Anfang und Ende des deutschen Satzes als Ausdrucks- und Eindrucksstelle bezeichnet, sofern der Anfang nicht einfach zur Fortführung benutzt wird.

Es können mehrere Elemente gleichzeitig als neu markiert sein:

Zwei Chinesen sind auf dem Mars gelandet.

Diese Mehrgipfligleit kommt in Nachrichtentext sehr oft vor, gerade weil sie kontextfrei sind; fast alles Erwähnte wird gleichzeitig neu eingeführt.

Die Kleinen hängt man, die Großen läßt man laufen.
Wo die Auswahl ein Segen wäre, ist die Vollständigkeit ein Fluch. (FAZ 3.2.84)
In der enger werdenden Welt ist der Ruf nach Freiheit schwächer, der Ruf nach Sicherheit größer geworden. (Hans Maier: Die Grundrechte des Menschen im modernen Staat. Osnabrück 1973:52)

Mehrfache spezifische Kontrastierung:
Tee muß ziehen, Kaffee darf sich setzen. (Antwort auf die Scherzfrage Was ist vornehmer, Kaffee oder Tee?)

Eine gewisse Schwierigkeit bereiten Sätze wie
Der Bus kommt!
Da kommt der Bus!

- geäußert an einer Haltestelle, wo alle auf den Bus warten, der Bus also gemeinsames Thema ist und das Kommen neu und erwähnenswert. Der Wert einer solchen Äußerung ist nicht viel anders als mit einem selbstverständlich unbetonten Pronomen:
Da kommt er!
Endlich kommt er!

Man hat solche Äußerungen als „thetisch“ ausgezeichnet, mit einem Ausdruck aus der Logik und Sprachphilosophie.

Im Garten ist ein Mensch.
Im Garten ist jemand.


Aus einer Sammlung von Kinderwitzen entnehme ich einen Scherz, der nur schriftlich funktioniert:

Morgens im Zoo. „Papa, warum macht denn der Geier so ein dämliches Gesicht?“ - „Weil noch kein Aas da ist.“

Wird Aas betont, bedeutet es Futter und ist rhematisch. Unbetont ist es wie das Indefinitum niemand gebraucht; die Metapher soll etwas Unbeträchtliches ausdrücken, wie etwa auch kein Schwein.

Meine Wäsche ist schmutzig.

Ohne besonderen Kontext geäußert, erinnert der Satz an die Wäsche, also etwa wie: Übrigens, die Wäsche!, und mit Wäsche läßt sich kaum etwas anderes verbinden, als daß sie gewaschen werden muß.
Nicht leicht zu erklären sind betonte Präpositionen; ich unterscheide zwei Typen:
Auf dem Tisch war eine Schachtel, und in der Schachtel lag ein Schlüssel.
Hier wird der Teil mit dem Ganzen kontrastiert. Ähnlich:
Er zahlt Kirchensteuer, obwohl er gar nicht in die Kirche geht.
Der zweite Typ, der besonders Politikern zugeschrieben wird:

Dann wären wir auf die Franzosen, auf die Italiener, auf die Spanier verwiesen.
das Recht auf Erziehung, auf Ernährung, auf medizinische Versorgung...


Diese betonten Präpositionen sind an Aufzählungen gebunden und wirken wie eine Numerierung, also wie betontes erstens, zweitens usw.


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