08.03.2013


Theodor Ickler

Nichts lernen aus Metaphern

Kritik der kognitiven Linguistik I

Die kognitivistischen Metapherntheorien erfüllen bei weitem nicht die hohen Erwartungen, die sie – besonders im Gefolge von George Lakoff – geweckt haben.

Ich habe hier einmal meine verstreuten Bemerkungen zur Metaphorik zusammengefaßt und stelle sie zur Diskussion.


Vorbemerkung
Die Theorie der Metapher gilt als tragende Säule der sogenannten Kognitiven Linguistik. Damit bleibt sie weitgehend innerhalb des mentalistischen Paradigmas. Sie spricht vom „Denken“, von „Konzepten“, „mentalen Repräsentationen“ und anderen Objekten aus dem Inventar einer Psychologie, die ihre Herkunft aus der traditionellen bildungssprachlichen Folk psychology nicht verleugnet. B. F. Skinner hat die Lage schon vor längerer Zeit beschrieben:
„The battle cry of the cognitive revolution is 'Mind is back!' A 'great new science of mind' is born. Behaviorism nearly destroyed our concern for it, but behaviorism has been overthrown, and we can take up again where the philosophers and early psychologists left off.” (Burrhus F. Skinner: Recent Issues in the Analysis of Behavior. Columbus 1989:22)
Wie genau Skinner die Kognitionsforschung getroffen hat, zeigt etwa folgendes Zitat eines führenden Vertreters:
„The central mission of cognitive science is to reveal the real nature of the mind.“ (Alvin I. Goldman: Readings in Philosophy and Cognitive Science. Cambridge, Mass. 1993:347)
So würde man sich nicht ausdrücken, wenn man den „Geist“ nur für ein Konstrukt hielte. Konstrukte erforscht oder „enthüllt“ man nicht, sondern man stellt sie her und baut sie bestenfalls weiter aus, um ihre Erklärungskraft zu steigern. Der Konstruktcharakter des Mentalen und die semiotische Problematik des Sprechens darüber werden aber selten diskutiert; allenfalls kommt es zu Hinweisen auf den metaphorischen Charakter der Erklärungsbegriffe selbst (mapping, source, target, frame, blending usw.). Da ich die Begeisterung über den wiedergeborenen Psychologismus nicht teile, werde ich versuchen, die Metapherntheorie von einem empiristischen Standpunkt aus zu kommentieren.

Erster Teil: Definitionen
In Skinners „Verbal Behavior“ wird die Metapher zunächst im Kapitel über die „Takts“ behandelt. Tact (am besten als das Takt zu übersetzen) ist ein halbkünstliches Wort, mit dem Skinner ungefähr das bezeichnet, was in der Alltagssprache Name oder Benennung heißt. „Ein Takt kann definiert werden als ein sprachlicher Operant, bei dem eine Reaktion von bestimmter Form durch ein besonderes Objekt oder Ereignis oder durch eine besondere Eigenschaft eines Objekts oder Ereignisses hervorgerufen oder zumindest verstärkt wird.“ (VB 82) (Weitere Sprachfunktionen sind Mands, Echo-, Text-, innersprachliche und autoklitische Reaktionen.)
Der unendlichen Vielfalt der Gegenstände, Vorgänge und Zustände in der Welt steht eine begrenzte Anzahl von sprachlichen Reaktionen gegenüber. Gänzlich neue Wörter werden nur selten erfunden, viele Sprachen kennen aber Verfahren der Wortbildung, mit denen sich der Wortbestand vermehren läßt. Außerdem bleibt stets die Möglichkeit der Paraphrase durch mehrere Wörter. Unauffälliger sind rein semantische Verfahren der Wortschatzvermehrung. Die wichtigsten sind die generische, die metaphorische, die synekdochische und die metonymische Erweiterung.
Bevor wir diese Verfahren genauer betrachten, ist an eine Erscheinung zu erinnern, die erst bei der Untersuchung wirklicher Kommunikation anstelle bloßer Wörterbucheinträge beobachtet werden kann. Beim Erlernen einer Vokabel ist zunächst nicht klar, welche formalen oder funktionalen Merkmale des Objekts (des Reizes) für die Zuordnung relevant sind. Kinder und Ausländer verwenden manche Wörter daher mit einer zu engen oder zu weiten Ausdehnung oder verfehlen auf andere Weise die von der Gemeinschaft anerkannten Gebrauchsbedingungen. Solche Irrtümer bleiben oft unbemerkt, weil die „Sachsteuerung“ (Bühler) über ungenaue Bezeichnungen hinweghilft und weil Bedeutungsunterschiede in bestimmten Kontexten neutralisiert werden. Dieser Mechanismus wird trotz seiner Alltäglichkeit selten beachtet. Die üblichen allgemeinen Wörterbücher sind Definitionswörterbücher, d. h. darauf angelegt, die Bedeutungsunterschiede zwischen Wörtern herauszuarbeiten (definieren heißt ‚abgrenzen‘); dabei fällt die Neutralisierbarkeit unter den Tisch. Ein Beispiel: tun und machen sind gewiß nicht dasselbe. Lesen wir aber einen Satz wie diesen:
Die spanische Konkurrenz macht das, was auch deutsche Firmen tun. (SZ 5.1.11)
so gibt die ganze Konstruktion (einschließlich der Betonung) zu verstehen, daß die beiden Verben hier genau dasselbe bedeuten sollen, sonst gäbe die Aussage keinen Sinn. Ebenso:
Etwas habe ich übersetzt, aber die schönsten Stellen kann man ja nicht übertragen. (Kurt Tucholsky: Gesammelte Werke. Reinbek 1985, Bd. 1:302)
Wir verstehen, daß der Ausdruckswechsel nur einen stilistischen Grund hat: die Wiederholungsvermeidung. Wenn man diesen Mechanismus nicht beachtet, ist man ständig in Gefahr, den Sprechern Unterscheidungen zu unterstellen, die sie in Wirklichkeit nicht machen.

Generische Erweiterung
Die sprachliche Reaktion Maus wird von der Sprachgemeinschaft bekräftigt, wenn diejenigen Merkmale vorliegen, die üblicherweise als wesentlich betrachtet werden. Das sind bei Lebewesen heute überwiegend die biologischen. Eine Maus ist also primär ein Tier usw.; mit dieser Kategorisierung würde die Definition beginnen: Eine Maus ist ein Tier, das ... Wer eine neue Art von Tieren kennenlernt, wird sie als Mäuse bezeichnen, wenn sie in den wesentlichen Merkmalen mit den bekannten Mäusen übereinstimmen. Dabei bleibt es, wenn die Sprachgemeinschaft diese Reaktion bekräftigt. Dann ist die generische Erweiterung als neue konventionelle Bezeichnung in den Bestand der Sprache eingegangen.
Auch einzelne Merkmale können unter die generische Erweiterung geraten. Kinder lernen die Reaktion rot an bestimmten roten Gegenständen und wenden sie auf andere Gegenstände an, die nicht unbedingt denselben roten Farbton haben. Wie weit die generische Erweiterung dieser Reaktion durch verschiedene Farben reicht, wird durch das Bekräftigungsverhalten der Sprachgemeinschaft festgelegt.
Gerade am Beispiel der Farbwörter zeigt Skinner, welche Bedeutung die Sprache für den Menschen hat: Es gibt keine nichtsprachliche Reaktion auf die Farbe Rot, sondern nur das Farbwort selbst. So ist es dem Menschen möglich, beliebige Merkmale oder Gegenstandsklassen aus der Umwelt herauszugreifen, indem er eine bestimmte sprachliche Reaktion unter deren Steuerung bringt. Das ist der Kern der „Abstraktion“.

Metaphorische Erweiterung
Konventionell wird ein Teil der menschlichen Hand als Maus bezeichnet. Die Übertragung beruht auf der kleinen, rundlichen Form dieses Muskels (lat. musculus = 'Mäuschen'). Die primäre Kategorie wäre: ein Körperteil ...
Die herkömmliche Computermaus teilt neben der Form (oft auch der grauen Farbe) und der leisen Fortbewegung auch noch den langen dünnen Schwanz, also das Verbindungskabel. Eine solche Maus ist also primär: ein Gerät ...
Wer einen Menschen erstmals als Maus bezeichnet, hat eine metaphorische Erweiterung vorgenommen, weil es in der Sprachgemeinschaft nicht üblich ist, die Reaktion Maus allein unter der Steuerung der Eigenschaften Kleinheit, Ängstlichkeit, leise Fortbewegung usw. zu bekräftigen; es muß sich zunächst einmal um ein Tier handeln.
Welche Merkmale als wesentlich, welche als unwesentlich und daher für die metaphorische Erweiterung geeignet angesehen werden, ist nicht ein für allemal festgelegt. Der Aspekt, unter dem primär klassifiziert wird, kann wechseln. Wenn man sieht, wie Kartoffeln unter dem Einfluß von Licht grün werden, könnte man auf den Gedanken kommen: „Kartoffeln sind gewissermaßen Stengel.“ Eine gewagte Metapher, die viel Phantasie verlangt. Nun belehrt uns aber die botanische Morphologie, daß Kartoffeln tatsächlich die zu Stärkespeichern umgebildeten Stengel der Pflanze sind und nicht etwa Wurzeln. Diese Einsicht hebt die Metaphorik mitsamt ihrer vermeintlichen Kühnheit auf.
Flügel und Hals bezeichnen primär Körperteile. Die metaphorische Erweiterung setzt an unwesentlichen Merkmalen an:
„Nachdem wir die Reaktion Flügel von Körperteilen der Vögel und Insekten auf Bühnenbilder, Flugzeuge, Gebäude und Heere ausgedehnt haben, wird die Reaktion durch eine subtile geometrische Eigenschaft gesteuert, die allen diesen Gegenständen gemein ist.“ (VB 96)
(Dasselbe Beispiel bespricht schon Fritz Mauthner: Beiträge zu einer Kritik der Sprache. Bd. 2, 2. Aufl. Stuttgart, Berlin 1912:489)
Asteroid 2012 DA14 rauscht an der Erde vorbei (Spiegel online 15.2.13)
Das Verb rauschen bezeichnet gewöhnlich einen Gehörseindruck, der oft durch schnell bewegte größere Gegenstände erzeugt wird. Dieses Nebenmerkmal der Geschwindigkeit (und Wucht) des rauschenden Objekts wird zum Kriterium der Übertragung auf einen Gegenstand, der kein Geräusch erzeugt.

Die Identifikation einer Metapher und ihre Abgrenzung von der generischen Erweiterung ist nicht möglich, solange der Aspekt nicht feststeht, unter dem die Klassifizierung stehen soll. Der Unterschied zwischen Walen und Fischen ist zoologisch klar genug, aber es gibt andere Aspekte, unter denen es sinnvoll ist, sie unter einer Kategorie zusammenzufassen. Der Walfang zum Beispiel wird von den Fischereiministerien und -kommissionen geregelt.
US-Präsident Obama sagte nach seinem Wahlsieg im November 2008:
If there is anyone out there who still doubts that America is a place where all things are possible; who still wonders if the dream of our founders is alive in our time; who still questions the power of our democracy, tonight is your answer.
Der Metaphernforscher Gerard Steen deutet dream als Metapher für Hoffnung (hope). Aber ist Traum hier überhaupt eine Metapher? Steen stützt sich auf Wörterbuchdefinitionen, die den Traum während des Schlafs als Normalfall definieren.
The word dream is metaphorically used because its meaning in this particular utterance (its ‚contextual meaning‘) is ‚something good that you hope you will have or achieve in the future‘ (sense description 2 in the Macmillan English Dictionary for Advanced Learners, Rundell, 2002). This contextual meaning is distinct from the more basic meaning of the word dream, which can be defined as ‚something that you experience in your mind while you are sleeping‘ (Macmillan, sense 1): something that happens during your sleep is decidedly distinct from something you hope for. If the contextual meaning of a word is distinct from its basic meaning, but can be understood by comparison with it, the word is metaphorically used (...). Since one function of dreams is to show you situations that you might hope for, the ‚hope‘ sense can be argued to be distinct from but comparable to the ‚sleep‘ sense of dream. (Gerard Steen: „When is metaphor deliberate?“ In: Nils-Lennart Johannesson et al., Hg.: Selected Papers from the 2008 Metaphor Festival. Stockholm 2011:43-63, S. 44, zit. nach Internet-Preprint)
Der amerikanische Traum kann aber u. a. auch als Vision aufgefaßt werden, als utopisches Modell oder als Tagtraum, bei dem man die bessere Zukunft schon vor sich sieht. So wäre denn auch die Übersetzung in den Begriff der „Hoffnung“ schon nicht ganz richtig. Der amerikanische Traum umfaßt nicht nur Hoffnung, sondern auch Zuversicht, nämlich die Gewißheit, daß man das Ziel durch eigene Anstregung erreichen kann. Auch das Große Wörterbuch von DUDEN definiert unzureichend: der amerikanische Traum: (das Ideal von einer wohlhabenden demokratischen Gesellschaft in Amerika als dem Land der unbegenzten Möglichkeiten). Steen erwähnt, daß Obama sicher auch an Martin Luther Kings berühmte Rede erinnern wollte. Sorglosigkeit im Detail ist in metapherntheoretischen Arbeiten nicht selten. Das trifft die Metapherntheorie in ihrem Kern, denn Metaphern sind immer mehrdeutig und unausschöpfbar.

Synekdochische Erweiterung
Synekdoche und Metonyme werden meist zusammen behandelt und in uneinheitlicher Weise voneinander abgegrenzt. Es ist zweckmäßig, die Synekdoche auf die begriffliche Beziehung von Gattung und Art bzw. Art und Individuum zu begrenzen.
Beispiele (jeweils im passenden Kontext):
unser täglich Brot (= Nahrung)
acht Mann (= Personen)
Vierbeiner (oft = Hund)
eine Cola (= koffeinhaltige Limonade)
Was Hänschen nicht lernt, lernt Hans nimmermehr (= Kind und Erwachsener)

Metonymische Erweiterung
Um den Unterschied zur nächsten Gruppe zu erfassen, muß man einen Blick auf die grundlegende Unterscheidung zwischen Begriffs- und Bestandssystemen werfen. Fritz C. Werner unterscheidet (ähnlich wie DIN 2330) „reale Bestandssysteme“ und „begriffliche Systeme“, die Wiener Schule der Terminologie fügt noch „thematische Systeme“ hinzu.
In einem realen Bestandssystem bezeichnen die Termini Gegenstände oder Vorgänge, die als Teile eines Ganzen zusammenhängen oder zusammenwirken. So verhält es sich z. B. mit den Körperteilen. Nach einer anderen, in der Sprachwissenschaft besonders geläufigen Redeweise stehen die bezeichneten Gegenstände untereinander in der Beziehung der „Kontiguität“, also der Berührung, und ein solches Merkmal schreibt man auch dem ganzen Feld der Begriffe zu, die sich darauf beziehen. In der linguistischen Semantik bezeichnet man die Sinnrelation, in der die Begriffe zu dem des geteilten Ganzen stehen, als „Partonymie“ oder „Meronymie“. Wie verschiedenartig reale Bestandssysteme sein können, zeigen einige Beispiele:
Eine Nervenzelle besteht aus Zellkern, Axon und Dendriten.
Die Verbrennung im Ottomotor zerfällt in folgende Vorgänge: 1. Ansaugen, 2. Verdichten, 3. Verbrennen, 4. Ausstoßen.
Die Anfertigung eines glatten Bolzens erfordert sieben Teilschritte: 1. Einspannen des Rohrstücks, 2. Plandrehen der Stirnfläche, 3. Schruppen, 4. Schlichten und Entgraten, 5. Abstechen, 6. Plandrehen der zweiten Stirnfläche, 7. Entgraten.
Begriffliche Systeme können wiederum „künstlich“ oder „natürlich“ sein. Die Klassifikation der Pflanzen und Tiere nach Linné wäre in diesem Sinne künstlich, da sie willkürlich ausgewählte Merkmale als Einteilungskriterien zugrundelegt. Ein natürliches System berücksichtigt nicht nur die Ähnlichkeit, sondern auch deren phylogenetische Ursachen, also die Abstammung (wodurch denn doch wieder die Kontiguität eine Rolle spielt.).
Ein Beispiel für begriffliche Systeme im Bereich der Verfahrenstechnik: Das Formen von Werkstücken läßt sich in spanendes und nichtspanendes Formen einteilen, wobei das spanende Formen wiederum zerfällt in Bohren, Drehen, Feilen, Fräsen, Gewindeschneiden, Hobeln, Honen, Läppen, Meißeln, Reiben, Sägen, Schaben, Schleifen, Senken, das nichtspanende in Biegen, Spannen, Ausbeulen, Gießen, Richten, Schmieden, Schneiden, Walzen.
Thematische Systeme folgen keiner so strengen Ordnung, sondern umfassen beliebige in einem Text vorkommende „Themen“, zwischen denen eine nicht vorhersehbare Menge von Beziehungen bestehen kann. Oft handelt es sich um eine Mischung von begrifflichen und realen Zusammenhängen.
Die zusammenfassende Behandlung dieser Arten von „Systemen“ sollte nicht dazu verleiten, die grundsätzlichen Unterschiede zu übersehen. Daß ein Begriff in Unterbegriffe zerfällt, ist nicht vergleichbar mit der Zerlegbarkeit eines Gegenstandes oder Vorgangs in seine Teile. Diese Unvergleichbarkeit erstreckt sich auch auf die Umkehrung der Analyse: Das Finden eines Oberbegriffs (etwa Elektrische Maschine als Oberbegriff zu Motor und Generator) und der Zusammenbau eines Gerätes (etwa von Nabe, Felge und Speichen zu einem Rad) sind völlig verschiedene Dinge.
Bei der Metonymie wird die Bezeichnung aus einem realen Bestandssystem gezogen:
Dennoch bleibt „Der Führer schützt das Recht“ einer der beschämendsten Texte, die je ein bedeutender Kopf geschrieben hat. (SPIEGEL 16.7.01)
Das Buch wurde von Carl Schmitt geschrieben, nicht von seinem Kopf. Neben dieser Technik, den Teil für das Ganze (oder auch umgekehrt) eintreten zu lassen, werden verschiedene Kontiguitätsbeziehungen genutzt, also das räumliche oder zeitliche Zusammenvorkommen, kausale Beziehungen, rechtliche Folgen usw.:
Berlin (= Deutsche Bundesregierung)
Er kennt seinen Horaz (= Werke des Horaz)
ein Glas (= ein Glas Wein usw.; dies kann auch elliptisch verstanden werden)


Konventionalisierung

„Wenn eine Metapher erfolgreich ist und regelmäßig bekräftigt wird, hört sie auf, primär eine Metapher zu sein.“ (VB 93)
Die Etymologie zeigt, daß die meisten Wörter irgendwann übertragen, meistens metaphorisch erweitert wurden. Für den nichtlinguistischen Sprecher ist diese Herkunft und damit die frühere „wörtliche“ Deutung nicht mehr erkennbar, oder er denkt gewöhnlich nicht daran. Man spricht daher von konventionalisierten oder – metaphorisch – von toten Metaphern.
Tote Metaphern können wiederbelebt werden, ein beliebtes literarisches Verfahren:
Der Griechen Stämme sind zerspalten. (Kleist)
Oft dient das Wörtlichnehmen einem komischen oder spielerischen Effekt:
Wollte Ryle diese Suche ernsthaft aufnehmen, so säße er mit den Logischen Empiristen in einem Boot, und bekanntlich war dort die Stimmung an Bord damals schon nicht mehr die beste. (Geert Keil: Kritik des Naturalismus. Berlin, New York 1993:183)
Im übrigen ist die Theoriebildung (...) im Fluß. Er hat sich allerdings verlangsamt ...(Manfred Frank [Hg.]: Analytische Theorien des Selbstbewußtseins. Frankfurt 1994:9)
Besonders beliebt ist dieses geistreich wirkende Verfahren bei Wirtschaftsjournalisten:
Ernüchterung in der Spirituosen-Industrie
Nach dem beschwingten Jahr 1993, das ihr dank eines hochprozentigen Exportbooms schönes Wachstum brachte, macht sich in der deutschen Spirituosenindustrie Ernüchterung breit. Die enorme Nachfrage aus Osteuropa, vor allem nach Wodka und Likören, ist verrauscht.
(SZ 22.8.94)

Metapher und Vergleich
Aristoteles verstand unter Metapher noch verschiedene „übertragene“ Ausdrucksweisen. Spätere Autoren schränkten den Begriff auf solche Figuren ein, denen eine Ähnlichkeit zugrunde liegt. Die Metapher kommt aus dieser Sicht einem Vergleich nahe, nur daß jeder formale Vergleichsausdruck fehlt; sie wurde daher als „verkürzter Vergleich“ bezeichnet. Achill ist ein Löwe anstelle von Achill ist wie ein Löwe. Wörtlich verstanden wird der Vergleich dadurch zu einer falschen Aussage bzw. Benennung. Dasselbe geschieht, wenn die Aussage suspendiert ist und nur noch als Benennung auftritt, z. B. appositionell oder als Anrede: Achill, der Löwe; du Esel.
Ähnlichkeit besteht immer nur in einer gewissen Hinsicht. Ist das Tertium nicht genannt, bleibt auch offen, welche Merkmale in die Gleichsetzung einbezogen werden sollen. Achill ist mutig wie ein Löwe oder auch Achill ist ein Löwe an Mut wäre eindeutig, aber Achill ist (wie) ein Löwe läßt im Ungewissen, ob Mut, Stärke, Wildheit, Grausamkeit oder noch etwas anderes beiden zukommt. Es versteht sich, daß nicht die biologischen Eigenschaften des Löwen, sondern die stereotypen wirksam werden. Nennt man einen Menschen grün, ist herkömmlicherweise auf seine Jugend und daher Unerfahrenheit angespielt. Das sind kulturell anerkannte stereotype Zusammenhänge. Die dumme Gans würde erhalten bleiben, auch wenn sich herausstellen sollte, daß Gänse außergewöhnlich intelligent sind. Die Vandalen waren besser als ihr Ruf, bleiben aber Namensgeber für sinnlose Zerstörungswut. Gewisse schädliche Computerprogramme werden eigentlich zu Unrecht Trojaner genannt, denn es waren die Griechen, die mit Hilfe ihres „Trojanischen Pferdes“ in die belagerte Stadt Troja gelangten und sie zerstörten. Die Bezeichnung funktioniert trotzdem.
Leonhard Lipka hat die Unbestimmtheit der motivierenden Merkmale hervorgehoben. Man habe es bei der Metapher nicht mit nur einem einzigen Tertium comparationis zu tun hat, „sondern mit einer 'komplexen Pluralität', denn: 'eine Metapher enthält oft eine ganze Situation'.“ („Der Risalit und seine Folgen“. In: Udo Fries/Martin Heusser [Hg.]: Meaning and Beyond. Ernst Leisi zum 70. Geburtstag. Stuttgart 1989:225-236, S. 232) Als Beispiel führt Lipka u. a. die Übertragung von crane „Kranich“ auf die Maschine „Kran“ an: Zunächst spiele wie so oft die Form eine Rolle (schlanker Hals, langer Schnabel, durch eine Art Gelenk verbunden), hinzu komme aber auch eine typische Tätigkeit (geschäftiges Hin- und Hergehen, Auflesen vom Boden).
Beim Wort genommen, ist eine vergleichende Prädikation immer wahr, denn: „Everything is like everything, and in endless ways“. (Donald Davidson: Inquiry into truth and interpretation. Oxford 2001:254; vgl. schon Cicero de oratore 3, 40, 161: Nihil est enim in rerum natura, cuius nos non in aliis rebus possimus uti vocabulo et nomine. Bekanntlich gibt es unendlich viele Lösungen für Lewis Carrolls Rätsel „Why is a raven like a writing desk?“) Dagegen ist eine metaphorische immer falsch. Der logische Unterschied könnte also größer nicht sein. In der Sprachwirklichkeit laufen beide aber meist auf dasselbe hinaus, sind daher in Texten ohne weiteres austauschbar:
Gutes Geld ist eine Sprache ohne Mißverständnis (Überschrift) - Geld ist wie Sprache. (...) Geld ist wie Sprache ein Kommunikationsmittel. (FAZ 13.1.96)
Manchmal erinnern Opernhäuser an Pizzerien. Das Warenangebot ist in beiden Fällen so überschaubar wie erwartbar. (SZ 13.9.11)
Hier hätte ebenso gut stehen können: Opernhäuser sind Pizzerien. Das Warenangebot ist so überschaubar wie erwartbar.
Sobald eine metaphorische Prädikation verstanden ist und über den Vergleichspunkt Einvernehmen besteht, kann sie durchaus einen Wahrheitswert haben; das meinen auch die Sprecher selbst:
„So zutreffend die Metapher vom Export der Marktwirtschaft ist, so falsch und leichtfertig wäre es aber anzunehmen, mit der Versendung eines Pakets von Rechtsvorschriften und Ratschlägen für die öffentliche Verwaltung sei es getan.“ (FAZ 2.1.93)
„Schlechtunterrichtete haben ihn (Windthorst) den Fuchs genannt. Dieses Bild ist krumm, schief, ganz verzerrt. Er war durchaus nicht besonders listig; im Gegenteil er dachte und redete und handelte gradlinig.“ (Eduard Engel: Menschen und Dinge. Leipzig 1929:204)
„Königin und Arbeiterin sind nach herkömmlicher Auffassung die beiden Kasten in Hautflüglerstaaten. Fälschlich werden manchmal auch die Männchen oder Drohnen als Kasten bezeichnet.“ (Naturwissenschaftliche Rundschau 3, 1992:85)
Erkennt man an, daß Vergleich und Metapher in der Praxis kaum unterschieden werden, kann man folgende, weniger logische als sprachliche Unterscheidung treffen: Als kontrafaktische Prädikation ist die Metapher einfach ein übertriebener, „hyperbolischer“ Vergleich. Wird dieser Vergleich über eine einzelne Prädikation hinaus erweitert, kommt es zu einem Gleichnis:
Gedichte sind gemalte Fensterscheiben.
Goethe erklärt anschließend, in welcher Hinsicht Gedichte gemalten Fensterscheiben gleichen. Man würde aber nicht sagen, daß jemand sich mit gemalten Fensterscheiben beschäftigt, wenn er Gedichte liest.
Die metaphorische Prädikation ersetzt nicht den Subjektsausdruck durch einen metaphorischen, sondern ein nicht genanntes „eigentliches“ Prädikat. Bei Achill ist ein Löwe tritt Löwe an die Stelle von mutiger Kämpfer (usw.). Die Prädikation signalisiert nur den Anwendungsfall, außerhalb dessen der Prädikatsausdruck nicht als Metapher gelten würde.
Cicero empfiehlt, gewagte Metaphern mit Unschärfesignalen wie ut ita dicam ‚sozusagen‘ usw. zu versehen (De oratore 3, 40, 163) – wie oben in unserem Beispiel Kartoffeln sind gewissermaßen Stengel. Nach Boguslawski eignen sich solche „Hedges“ geradezu als Test zur Identifizierung von Metaphern:
Der Befund ist seit dem Sommer nahezu gleich: die Wirtschaft dümpelt sozusagen vor sich hin. (SZ 14.11.81)
Kopf und Gesicht sind sozusagen die Bremsklötze des Fahrradfahrers. (Erlanger Nachrichten 5.6.91)
Allerdings wirken nicht alle klassischen Hedges so. Mit Ausdrücken wie eine Art von usw. werden eher untypische Fälle oder generische Erweiterungen gekennzeichnet:
Gefährliche Hunde werden nicht selten als eine Art von Waffe gebraucht.
Die bekannte Forderung, für Kampfhunde einen Waffenschein zu verlangen, ist nicht abwegiger als die Subsumtion von Walfang unter die Fischerei.
Deutlicher wirken Schärfesignale, die gerade durch ihr Insistieren das Hyperbolische hervorheben:
Zins und Tilgung saugen den betroffenen Nationen buchstäblich das Mark aus. (Nürnberger Nachrichten 3.2.92)
Als an den Grenzen der DDR buchstäblich die Dämme brachen, wurden viele der Voraussetzungen ungültig, auf denen seit Einbindung der Bundesrepublik in die westliche Gemeinschaft Frankreichs Konzept beruhte. (SZ 26.1.90)
Der Engländer hatte sein Herz regelrecht überdreht. (EN 28.9.88, über einen Doping-Fall)
Wendet man diesen Maßstab auf jene Rede Martin Luther Kings an, fällt der Test eher negativ aus: *Ich habe sozusagen einen Traum. Das ist kaum möglich und zeigt noch einmal, wie konventionell der Ausdruck Traum auch auf Vorgänge oder Einstellungen angewandt wird, die wenig mit Schlaf zu tun haben. (Schlaf und Traum gehören zu den Erscheinungen, die ethnopsychologisch sehr verschieden aufgefaßt und in das Alltagsleben eingefügt werden.)
Oft wird behauptet, die Metapher sei nicht der „uneigentliche“ Ausdruck, weil es den „eigentlichen“ gar nicht gebe. Insofern sei die Metapher auch nicht auf einen nichtmetaphorischen Ausdruck zurückführbar oder in ihn übersetzbar. „So gibt es z.B. für die verblassten Metaphern Stuhlbein, Buchrücken oder Handschuh keine adäquate ‚eigentliche‘ Bezeichnung.“ Das ist richtig, aber unspezifisch, denn auch für Hand oder Finger gibt es keine ungekünstelte Ersatzbezeichnung. Der weniger banale Sinn der These könnte darin bestehen, daß Metaphern im allgemeinen „offen“ sind, weil man nicht weiß, wie weit die Analogie gehen soll. Das gilt aber auch schon für Vergleiche ohne ausdrücklich angegebenes Tertium.


Genitiv- und Kompositionsmetaphern
Ein Ausdruck ist niemals an sich metaphorisch, auch nicht aufgrund seiner Bildeweise. Erst die Anwendung auf einen Gegenstand, der nicht die Merkmale der primären Steuerung zeigt, macht ihn zur Metapher. Metaphern sind also eine Erscheinung des Sprachgebrauchs, nicht des sprachlichen Inventars.
Wenn Harald Weinrich die üblichen Bildfelder aufzählt, verwendet er sogenannte Kompositionsmetaphern: Welttheater, Lebenssaft, Liebesjagd, Tierreich, Verstandeslicht, Luftschiff, Liebeslandschaft, Ehegespann, Sündenschuld, Textgewebe, Existenzspiel, Wortbaustein, Sprachpflanze, Himmelreich, Lebensreise, Charaktermetall, Geistesacker, Staatsschiff, Liebeskrieg.
Jedes dieser Wörter könnte im buchstäblichen Sinn gebraucht werden. Ein Salonlöwe könnte ein Löwe sein, der im Salon gehalten wird usw. Erst die Anwendung auf einen Menschen macht daraus eine Metapher, aber dann ist die Zusammensetzung unwesentlich, Löwe allein wäre auch schon eine Metapher. Ebenso Fleischwolf (das Küchengerät), Windrose (Abbildung der Himmelsrichtungen), Blumenteppich usw. Für die metaphorische Anwendung auf Gegenstände, die nicht Theater, Saft, Jagd usw. sind, spielt die Zusammensetzung also keine Rolle.
Ist das Grundwort wörtlich zu verstehen und nur das Bestimmungsglied übertragen, so kann wegen der grundsätzlichen Unbestimmtheit des Verhältnisses zwischen den Kompositionsgliedern ein schlichter Vergleich vorliegen: Leuchtturmeffekt (eines Pulsars: Astronomie), Tunneleffekt (Elementarteilchenphysik), Schwesterkonstituente (Grammatik), Mutter-/Tochtergesellschaft Wirtschaft), Familienähnlichkeit (von Begriffen) usw.
Tunneleffekt bezieht sich wie einige andere Fachausdrücke (Glockenkurve, Quintenzirkel) auf die graphische Darstellung bestimmter wissenschaftlicher Erkenntnisse und damit auf Modelle:
„Trägt man die potentielle Energie zwischen α-Teilchen und Kern als Funktion des Abstands der beiden auf, so hat diese Potentialkurve die Form eines Kraters. (...) Vor dem Zerfall befindet sich das α-Teilchen im Inneren des Kraters, nach dem Zerfall außerhalb. Die Höhe der Kraterwände (in Energieeinheiten) ist höher als die Energie des heraustretenden α-Teilchens. Nach den Gesetzen der klassischen Mechanik könnte das α-Teilchen deshalb diesen Potentialwall nicht überschreiten, nach denen der Quantenmechanik jedoch besteht eine gewisse Wahrscheinlichkeit dafür, daß sich das α-Teilchen auch jenseits der Kraterwände aufhält, diese gewissermaßen durchtunneln kann. (...) Die Wahrscheinlichkeit, den Potentialberg zu durchtunneln (...)“ (Horst Wohlfahrt [Hg.]: 40 Jahre Kernspaltung. Darmstadt 1979:10f.)
Hier wird die Entstehung des bildhaften Ausdrucks so deutlich wie seine praktische Folgenlosigkeit. Dasselbe hätte auch unbildlich ausgedrückt werden können.
Wenn man Mutter- und Tochtergesellschaft zu Mutter und Tochter verkürzt, wird aus dem Vergleich eine Metapher. Der zum Wolf verkürzte Fleischwolf war dagegen von Anfang an eine metaphorische Bezeichnung des Küchengerätes.
Stundenholz bei Celan (der Tisch, aus Stundenholz) scheint sich wirklich auf das Material zu beziehen, aus dem ein Tisch gemacht ist. Holz läßt sich sehr verschieden klassifizieren, der Zusatz ist zwar rätselhaft, aber gerade deshalb muß nicht von einer Metapher gesprochen werden, denn eine wörtliche Bedeutung bleibt möglich.
Dasselbe gilt für die sogenannte Genitivmetapher: Busen der Natur, Flügel der Abendluft, das süße Gift der Kameradschaft (Sebastian Haffner), der Zahn der Zeit – warum soll es das nicht buchstäblich geben können, auch wenn es noch so seltsam klingt? Im Duden-Universalwörterbuch wird das Gold ihrer Haare als Beispiel einer Metapher angeführt. Ohne Kontext läßt sich nicht feststellen, ob überhaupt eine Metapher vorliegt. Es könnte ein goldener Haarschmuck gemeint sein und manches andere, auch die bloße Farbe wie in schwarzrotgold.
Weder das Genitivattribut noch die Zusammensetzung zu einem Determinativkompositum machen einen Ausdruck metaphorisch. In beiden Fällen ist das semantische Verhältnis der Bestandteile zu unbestimmt, um die kontrafaktische Aussage herzugeben, die für die Feststellung der Metaphorizität wesentlich ist.

Ähnlichkeit schaffen?
In der Metapherntheorie wird auch behauptet, manchen Metaphern erzeugten erst die Ähnlichkeit, die sie nach der traditionellen Theorie voraussetzen und ausnutzen. Gerhard Strauß behauptet freilich paradoxerweise, Metaphern könnten auch „verborgene Korrespondenzen erst schaffen“ („Metaphern - Vorüberlegungen zu ihrer lexikographischen Darstellung“. In: Gisela Harras/Ulrike Haß/Gerhard Strauß: Wortbedeutungen und ihre Darstellung im Wörterbuch. Berlin 1991:153). Wenn die Korrespondenzen verborgen sind, werden sie nur aufgedeckt, nicht geschaffen.
Die These von der „kreativen Metapher“ wird oft vertreten. Zuerst hat wohl Max Black behauptet:
„Es wäre in einigen dieser Fälle aufschlußreicher zu sagen, die Metapher schafft Ähnlichkeit (similarity), statt zu sagen, sie formuliert eine bereits vorher existierende Ähnlichkeit.“ („Die Metapher.“ In: Anselm Haverkamp, Hg.: Theorie der Metapher. 2. Aufl. Darmstadt 1996:31-79. S. 68)
Eine Variante dieser Theorie vertritt Helge Skirl als „Emergenztheorie“ der Metapher. (Emergenz als Phänomen der Semantik am Beispiel des Metaphernverstehens. Tübingen 2009; kurz auch in „Kompositummetaphern – semantische Innovation und textpragmatische Funktion“. metaphorik.de 19/2010, 23-45, S. 24)
Sein Beispielsatz ist:
Der Hockeyspieler ist ein Bulldozer.
Skirl behauptet nun, die Merkmale, um deren Anwendung es hier gehe, seien „z. B.“ (?) WAGEMUTIG und DURCHSETZUNGSSTARK. Da sie nicht zum Begriff des Bulldozers gehörten, müßten sie im Verstehen der Metapher erst konstruiert werden. (Sie gehören auch nicht zum Begriff des Hockeyspielers – wohl aber, was Skirl übersieht, zur Ausstattung des bestimmten Sportlers, den man metaphorisch als Bulldozer kennzeichnet. Der Ausgangssatz behauptet ja nicht allgemein, Hockeyspieler seien Bulldozer.) Der Bulldozer werde zunächst anthropomorphisch gedeutet, bevor ihm jene Merkmale zugesprochen werden können. Allerdings ist die Auswahl der Merkmale wieder einmal willkürlich und unplausibel. Ein Bulldozer ist kraftvoll und überfährt kleinere Hindernisse; er ist nicht für feinere Verrichtungen geeignet, sondern erledigt grobe Arbeiten mit großer Kraft. Also kommt es auf GROB und STARK (und vielleicht noch weitere Eigenschaften) an. Sie lassen sich Bulldozern und Sportlern in gleicher Weise zuschreiben, es emergiert nichts, und es wird nicht personifiziert.
Skirl erreicht sein Ziel auch nur dadurch, daß er zwischen der sprachlichen Bedeutung und dem „konzeptuellen“ Weltwissen unterscheidet. Aus letzterem schöpft der Metapherninterpret die Komponenten, die in der sprachlichen Bedeutung nicht enthalten sind, erzeugt sie also keineswegs, sondern entdeckt sie, wie in der traditionellen Lehre vorgesehen und hier nur durch die psychologisierende Redeweise verhüllt.
Ein Maler schafft Ähnlichkeit, indem er Merkmale seines Modells auf das Gemälde überträgt. Ohne in dieser Weise Hand anzulegen, kann man Ähnlichkeiten nicht schaffen, sondern nur schon vorhandene Ähnlichkeiten entdecken.


Die „absolute Metapher“

Die nicht auflösbare, absolute Metapher, die vor allem in moderner Dichtung vorkommt, wird besser als Metaphernkandidat bezeichnet, denn solange sie nicht aufgelöst werden kann, läßt sich auch nicht behaupten, daß es sich um eine Metapher handelt. Man kann sie mit den Zeichenkandidaten vergleichen: Es gibt z. B. steinzeitliche Ritzungen, die nach menschlichem Ermessen nicht durch Wind und Wetter entstanden sein können, wohl auch nicht als gedankenlose menschliche Kritzelei zu erklären und daher möglicherweise Zeichen sind. Ohne eine solche Vermutung würde niemand sich an der Entzifferung versuchen. So ziehen auch manche poetischen Ausdrücke wegen ihrer Ähnlichkeit mit bereits bekannten Metaphern den Verdacht auf sich, daß es sich um Metaphern handeln könnte, auch wenn man sie noch nicht deuten kann. Es sind Verrätselungen. Paul Celans Werke sind voll davon, entsprechend intensiv wird an ihrer Deutung gearbeitet: schwarze Milch der Frühe usw. Manche Interpreten nehmen an, daß die Bedeutung grade in der Undeutbarkeit liege. Ein solche Bedeutungsbegriff liegt außerhalb unseres Themas.
Wie wir sehen werden, ließe sich allenfalls bei den sogenannten transgressiven Übertragungen von „absoluten Metaphern“ sprechen, da sie tatsächlich nicht auflösbar sind.

Metaphern als Spiel
Die behavioristische Untersuchung der Metapher kennt nur das Sprechen und anderes Verhalten, sie spricht nicht vom „Denken“ oder von „Konzepten“. Solche Redeweisen sind ihrerseits ein erklärungsbedürftiges Verhalten. Die Frage, ob Metaphern zuerst im Denken oder in der Vorstellung und dann erst in der Sprache stattfinden oder umgekehrt, ist aus dieser Sicht gegenstandslos und geradezu unverständlich.
Als Verhaltenstyp betrachtet, ist die Metapher ein Fall von Verstellungsspiel (pretence play). Der Sprecher verweigert auf eine für den Hörer durchschaubare Weise die Kooperation, die jeder Kommunikation zugrunde liegt. Ohne die Voraussetzung, daß der Sprecher normalerweise die Wahrheit sagt und die Zeichen in ihrer üblichen Bedeutung verwendet, ist sprachliche Verständigung nicht möglich. Indem der Sprecher eine offensichtlich falsche Prädikation äußert oder voraussetzt, gibt er dem Hörer zu verstehen, daß die Wörter anders gemeint sind als im Normalfall. Er verrätselt seine Redeweise. Das Rätsel als Textsorte macht von derselben Technik Gebrauch. Wie jedes Spiel befestigt auch die gespielte Nichtkooperativität die Grenze, indem sie sie in durchschaubarer Weise überschreitet. Wer im Scherz „lügt“, bestätigt die grundlegende Bedeutung der Wahrhaftigkeit. Am nächsten kommt der Metapher wohl die Ironie.
(Verstellungsspiel wird noch in anderer Weise funktionalisiert: Es liegt zum Beispiel dem Vormachen und dem Üben zugrunde und ist damit die Voraussetzung der Weitergabe und des Ausbaus von Kulturtechniken.)
Die Auffassung der Metapher als Verrätselung wird im Grunde auch von Heinz Werner vertreten, der den Ursprung der Metapher im Tabu sieht und ausdrücklich feststellt:
„Fast überall, wo die Metapher verwendet wird, soll sie charakteristischerweise den Gegenstand nicht deutlicher machen, ihn nicht begrifflich erläutern und klären, sondern im Gegenteil ihn verdunkeln und verhüllen.“ (Die Ursprünge der Metapher. Leipzig 1919:7)


Zweiter Teil: Kritik der kognitivistischen Metapherntheorie

Metapher und Erkenntis
1980 veröffentlichten George Lakoff und Mark Johnson ihr Buch „Metaphors we live by“, das einen außerordentlichen Erfolg haben sollte. Es gilt als Hauptwerk der sogenannten kognitiven Linguistik, als deren „Dreh- und Angelpunkt“ (Jäkel 2003:16) – oder eben als „tragende Säule“, wie ich es im ersten Satz dieser Abhandlung genannt habe, mit der Lakoffschen Rahmenmetapher „Theorien sind Gebäude“. Wer sich kritisch mit der kognitivistischen Metapherntheorie beschäftigt, stellt zugleich die kognitive Linguistik auf den Prüfstand.
Lakoff vertrat die These, die Metapher sei nicht nur eine rhetorische Figur, sondern ein Erkenntnismodell und Denkmittel und damit von grundlegender Bedeutung für den Menschen. Er glaubte sich damals von einer traditionellen Metaphernlehre absetzen zu müssen, der er in wechselnden Formulierungen „traditional false assumptions“ wie die folgenden zuschrieb:
All everyday conventional language is literal, and none is metaphorical.
All subject matter can be comprehended literally, without metaphor.
Only literal language can be contingently true or false.
All definitions given in the lexicon of a language are literal, not metaphorical.
The concepts used in the grammar of a language are all literal; none are metaphorical.
(In Andrew Ortony (ed.): Metaphor and Thought. 2. Aufl. Cambridge 1993)
Es dürfte schwer sein, Autoren zu finden, die ein derart beschränktes Bild von der Metapher vertreten hätten; auch wurde der Neuigkeitswert der Lakoffschen Thesen von Sachkundigen bei weitem nicht so hoch eingeschätzt wie von Lakoff selbst, der seine eigene Theorie durchgehend als „the contemporary theory of metaphor“ bezeichnet und dem Rest der Welt gegenüberstellt:
In classical theories of language, metaphor was seen as a matter of language not thought. Metaphorical expressions were assumed to be mutually exclusive with the realm of ordinary everyday language: everyday language had no metaphor, and metaphor used mechanisms outside the realm of everyday conventional language. (Lakoff a. a. O.)
Dagegen sei nur Hermann Paul zitiert, der einfach die „klassische Theorie“ darstellt:
„Die Metapher ist eines der wichtigsten Mittel zur Schöpfung von Benennungen für Vorstellungskomplexe, für die noch keine adäquaten Bezeichnungen existieren. Ihre Anwendung beschränkt sich aber nicht auf die Fälle, in denen eine solche äussere Nötigung vorliegt. Auch da, wo eine schon bestehende Benennung zur Verfügung steht, treibt oft ein innerer Drang zur Bevorzugung eines metaphorischen Ausdrucks. Die Metapher ist eben etwas, was mit Notwendigkeit aus der menschlichen Natur fliesst und sich geltend macht nicht bloss in der Dichtersprache, sondern vor allem auch in der volkstümlichen Umgangssprache, die immer zu Anschaulichkeit und drastischer Charakterisierung neigt.“ (Prinzipien der Sprachgeschichte 94)
Vgl. noch George Lakoff: „Conceptual metaphor. The contemporary theory of metaphor“. In: Dirk Geeraerts (Hg.): Cognitive Linguistics. Basic Readings. Berlin 2006:185-238. - Über sein eigenes Buch von 1980 sagt Lakoff: „The first book outlining the contemporary theory of metaphor.“ Daher auch: „Most of the papers in this edition also appeared in the first edition of 1979 and thus predate the contemporary theory of metaphor.“ (In: Ortony, 2. Aufl. 1993) Kritisch dazu Geoffrey Nunberg: „Frame Game“. The New Republic 4.11.06. - „The most irritating feature of the book is the authors' repeated claims of novelty, either for themselves or for their colleagues.“ (John F. Sowa: Rezension von Lakoff/Johnson: „Philosophy in the Flesh“. In: Computational Linguistics 25/4, 1999, zit. nach einer Internetfassung) - Lakoffs Interviewer Matt Bai schreibt: „Humility is not his most obvious virtue.“ (NYT 17.7.05) Thomas Eder spricht von „Pappkameraden“, die Lakoff umzustoßen unternimmt. - Lakoff hat seine Metapherntheorie auch dazu genutzt, seine politischen Ansichten zu verbreiten, und sagt dazu selbst: „Lakoff's essay ‚Metaphor and War‘, distributed to many millions over the Internet on the eve of the Gulf War, remains one of the most important analyses not only of the use of metaphor by the U.S. government to persuade the populace but also of the role of conceptual metaphors in planning foreign policy.“ (Lakoff/Johnson, Afterword 2003)
Auch der Hauptpunkt der kognitivistischen Theorie, eben die psychologische Deutung der Metapher, ist nicht neu. Zum Beispiel schrieb I. M. Richards schon 1936: „Die Metapher erschien [in der traditionellen Theorie] als eine auf Verschiebung und Verdrängung von Wörtern beschränkte Angelegenheit, wogegen sie doch in allererster Linie Austausch und Verkehr von Gedanken, eine Transaktion zwischen Kontexten ist. Denken ist metaphorisch und verfährt vergleichend; daraus leiten sich die Metaphern der Sprache her.“ (In: Haverkamp 35) Aber auch Aristoteles, Cicero und viele andere Autoren haben im Grunde dasselbe gesagt. Es geht einfach um einen Teil des analogischen „Denkens“. Wenn Lakoff und seine Nachfolger behaupten, die Metapher sei nicht bloß eine sprachliche Figur, sondern eine Art zu denken, befinden sie sich zwar nicht in dem vermeinten Gegensatz zu ihren Vorgängern, aber zugleich verschieben sie die Metapherndiskussion terminologisch in einer Weise, die der Diskussion den Boden entzieht. Sie nennen etwas „Metapher“, was herkömmlicherweise „analogisches Denken“ oder „Modelldenken“ heißt. Niemand hat je bezweifelt, daß analogisches Denken, was immer es sein mag, neue Erkenntnisse zutage fördern kann. Wenn dasselbe nun metaphorisches Denken heißen soll, ist in der Sache nichts gewonnen. Anders sieht es aus, wenn die hohen Ansprüche auf die rhetorische Figur, die man bisher „Metapher“ genannt hat, übertragen werden. Das ist heute weitgehend der Fall:
„Die Metapher soll, sehr vorläufig gesagt, meist schockartig neue Einsichten in unsere Welt eröffnen – und sie soll dies in einer solch spezifischen und singulären Weise tun, daß kein anderes sprachliches Verfahren hinsichtlich dieser Leistung mit ihr vergleichbar ist. Dieser 'Gemeinplatz' bezüglich der Metapher wird mittlerweile kaum noch in Frage gestellt.“ (Christian Strub: Kalkulierte Absurditäten. Freiburg 1991:20)
Besonders vorbehaltlos formuliert Rudi Keller:
„Jede Metapher ist ein kleines Erkenntnismodell.“ (Zeichentheorie. Tübingen, Basel 1995:224)
Ebenso umfassend Olaf Jäkel:
„In general, metaphors have an explanatory function.“ („Hypotheses Revisited: The Cognitive Theory of Metaphor Applied to Religious Texts“. http://www.metaphorik.de/02/jaekel.htm)
Solche Ansprüche, die zugleich den überraschend enthusiastischen Ton vieler Metapherntheorien kennzeichnen, verdienen wohl eine Nachprüfung.
Zunächst ein banaler, dennoch schlagender Einwand: Zu den Lehrstücken der Metapherntheorie gehört die „Ubiquität der Metapher“:
„Metaphorische Konzepte sind nicht stilistische Beigabe, sondern obligatorische und ubiquitäre Denkmodelle in der Alltagssprache und in allen Fachsprachen.“ (Karlheinz Jakob: „Metaphorische Konzepte und Sprachgeschichte“. Mitteilungen des Deutschen Germanistenverbandes 4/2001:540-554, S. 543)
Bereits Aristoteles stellte beiläufig fest, daß wir auch im Alltag ständig Metaphern benutzen (Rhet. 1404b).
Wären die Metaphern erkenntnisfördernd oder gar selbst Erkenntnisse, müßte es überall von Wissenszuwachs wimmeln. Besonders würde das von journalistischen Texten gelten, etwa aus dem Bereich der Wirtschaft. Gerade dort ist jedoch der spielerische Charakter unverkennbar:
An den europäischen Aktienmärkten sind die Kurse zeitweise in den freien Fall übergegangen. (FAZ 25.7.02)
Es wäre sinnlos, die Fallgesetze auf die Börse anzuwenden.
Die Aktienbörse ist kein Nullsummenspiel. Es ist nicht so, daß der eine gewinnt, was der andere verliert. Vielmehr steigt in der Hausse das Buchvermögen der Gesamtwirtschaft, während es sich in der Baisse buchstäblich in Luft auflöst. Mit derselben Geschwindigkeit, in der in der vorangegangenen Jahrhunderthausse die Kurse in aberwitzige Höhen geschnellt sind, entweicht jetzt die Luft aus der Spekulationsblase. (FAZ 25.7.02)
Die Bilder wechseln in Sekunden und haben gar keine Zeit, sich als Erkenntnismodelle zu entwickeln:
2008 fiel die Investmentbank Lehman Brothers vom Karussell. Die Blase war geplatzt. (SZ 23.2.13)
Gern läßt man sich, wie bereits gezeigt, die Metapher auch vom diskutierten Sachbereich selbst vorgeben, wodurch es zu reizvollen Doppeldeutigkeiten kommt: Lufthansa fliegt in die roten Zahlen.
Schmutzige Geschäfte mit heißer Luft (SZ 21.1.11).
Es geht um den Emissionshandel, beide Ausdrücke haben zugleich metaphorische Bedeutung.
Im Spiel um die Macht gab es bei Thyssen-Krupp Könige und Bauernopfer. (Wirtschaftswoche 15.1.13)
Die ausgefallene Metaphorik der Sportreporter ist sprichwörtlich. Der Fußballer nagelt das Spielgerät in die Wolken, holt die Murmel raus usw.
Eine Fundgrube (!) verspielter Metaphern dieser Art ist die Wissenschaftsseite der Tageszeitung:
Feldwespen sind die Schlagzeuger unter den Insekten. Die Tiere trommeln bei der Brutpflege rhythmisch mit ihren Antennen gegen die Brutkammern des Nestes. (SZ 26.1.11)
Kuschelhormon Oxytocin. (...) Doch das Hormon mit der glänzenden Fassade hat auch einen schmuddeligen Hinterhof. (SZ 13.1.11)
Photonen sind als sogenannte Bosonen gesellig genug, ihre Individualität aufzugeben. (SZ 25.11.10)
Methanhydrat ist einer der großen Unbekannten im Klimapuzzle. (...) Die Untersuchungen zeigen, dass der Meeresboden tatsächlich größere Methanrülpser ausstoßen kann. (SZ 29.12.10)
Diese ungeheure Masse von spielerischen Alltagsmetaphern wäre von vornherein auszuklammern, weil niemand auf den Gedanken kommt, ihnen einen Erkenntniswert zuzuschreiben. Man könnte sie als „Metaphern aus Übermut“ von den „Metaphern aus Mangel“ (Inopia) unterscheiden.
Die zentrale These der kognitivistischen Metapherntheorie bezieht sich einerseits auf schwer nachprüfbare „mentale“ Vorgänge, wird andererseits selbst wieder in metaphorischen Begriffen ausgedrückt, die schwer zu verstehen und kaum operationalisierbar sind:
„Metaphor is the concept of understanding one thing in terms of another.“ - So beginnt der Wikipedia-Eintrag über die Metapher. Erst danach ist überhaupt von Sprachlichem die Rede, in genauer Umkehr der herkömmlichen, von der Rhetorik ausgehenden Auffassung.
Es wird nie recht klar, was unter diesem unermüdlich wiederholten in terms of überhaupt zu verstehen ist, wenn die Sprachlichkeit der Metapher als rhetorischer Figur völlig aufgegeben ist. Ebenso unerklärt bleiben Metaphern wie „etwas im Lichte von etwas anderem verstehen“, „unter neuer Perspektive, unter neuem Aspekt verstehen“ usw.
„Metaphern und explanativen Theorien ist gemeinsam, daß Begriffe aus einem (...) primären System im Lichte von Begriffen eines sekundären Systems betrachtet werden.“ (Rudi Keller: Zeichentheorie. Tübingen, Basel 1995:225)
Die zentrale These kann bis zur Selbstparodie gesteigert werden:
„Wer jemanden ein Rindvieh nennt, fordert ihn auf, sich selbst im Lichte der Rindviehhaftigkeit zu sehen.“ (Rudi Keller/Ilja Kirschbaum: Bedeutungswandel. Eine Einführung. Berlin 2003:58)
Was heißt das, und wie macht man es? Was ist das für ein seltsames „Licht“, unmetaphorisch gesprochen? Statt eines Beweises aus dem sonstigen Verhalten werden immer nur weitere sprachliche Erscheinungen als Indizien des „Verstehens“ angegeben.
Lakoff führt die untereinander verwandten Metaphern auf eine begrenzte Zahl von Grundsätzen (Dachmetaphern, Metametaphern) zurück, die er in Versalien druckt und für grundlegende Denkmuster hält: ARGUMENT IS WAR, LOVE IS A JOURNEY usw. Bei einem großen Teil der tatsächlich benutzten Metaphern ist die nahegelegte Verallgemeinerung offensichtlich sinnlos:
Tatsächlich ticken die amerikanischen Wähler jedoch mehrheitlich konservativ. (Schweizer Monatshefte Nov. 2010)
Wähler sind Uhren?
frischgebackener Führer der freien Welt (Schweizer Monatshefte Nov. 2010)
Politiker sind Brote?
Auf den Bestsellerlisten tauchen regelmäßig Biographien historischer Figuren auf. (SZ 3.1.11)
Bestsellerlisten sind Gewässer?
Die Wirtschaft kommt, verunsichert durch den neuen Washingtoner Aktivismus, nicht in Trott. (Schweizer Monatshefte Nov. 2010)
Wirtschaften sind Pferde? Der Leser denkt nicht daran, sondern läßt es bei der lokal begrenzten Bildlichkeit bewenden. Es kommt aber noch besser:
Die Spieler müssen sich im Zaum halten (Augsburger Allgemeine 29.12.12)
Der Mensch muß sich zügeln. (ZEIT 13.10.89)
Menschen sind Reiter und zugleich ihre eigenen Pferde?
Absteiger Hertha BSC kassiert bei 1860 München die vierte Niederlage im fünften Spiel. (Nachrichten 5.12.10)
Niederlagen sind Geld?
Dann müssen Europa und Amerika die Weltwirtschaft umkrempeln (Internet 7.12.10)
Die Weltwirtschaft ist ein Ärmel oder ein Hosenbein?
die AKP, die jeden Quadratmeter Istanbul umkrempeln will (SZ 7.12.10)
Besteht auch Istanbul aus Ärmeln, Hosenbeinen?
wo die Designerbuden sich schon den Hang hinabfressen (SZ 7.12.10)
Ladengeschäfte sind Tiere?
Betrachten wir auch noch einmal die oben angeführten, durch Hedges ausgezeichneten Beispiele:
Der Befund ist seit dem Sommer nahezu gleich: die Wirtschaft dümpelt sozusagen vor sich hin. (SZ 14.11.81)
Die Wirtschaft ist ein Schiff?
Zins und Tilgung saugen den betroffenen Nationen buchstäblich das Mark aus. (Nürnberger Nachrichten 3.2.92)
Nationen sind Wirbeltiere?

Ein deutscher Metapherntheoretiker, der Anglist Hans-Jörg Schmid, erörtert ein Beispiel, das wohl nicht zufällig immer noch das alte aus Lakoff/Johnson 1980 ist:
„SZ: Eine Metapher ist also mehr als der Ersatz eines Wortes durch ein anderes?
Schmid: Nehmen Sie den Satz „Dieser Chirurg ist ein Metzger.“ Die Aussagekraft des Bildes ist nur damit zu erklären, dass man zusätzliche Wissensbestände in die Wörter hineinprojiziert. Der Metzger arbeitet ja durchaus auch akkurat und versteht sein Handwerk; die Unterstellung, dass der Metzger unfähig sei, ergibt sich nur aus der Kombination der beiden Bereiche „Chirurg“ und „Metzger“. Dies ist jedenfalls keine einfache „Übertragung“ dessen, was der Metzger tut, auf das, was der Chirurg tut. Man betrachte die Umkehrung: „Dieser Metzger ist ein Chirurg.“ Da ist dann der Metzger gar nicht mehr negativ konnotiert, obwohl der Chirurg ja auch ein durchaus blutiges Handwerk hat.“ (Süddeutsche Zeitung 21.3.09)
Es ist als Stereotyp bekannt, daß ein Metzger grob arbeitet, insofern er nicht an den physiologisch relevanten Teilen orientiert ist, sondern mit Säge und Hackebeil an den Tierkörper herangeht. (Daher auch Fleischhauer.) Dies wird auf den Chirurgen übertragen. Mensch und Tier spielen eine Rolle, auch wenn es Tierärzte gibt. Der Metzger zerfleischt und zerlegt tote Tiere, der Chirurg heilt lebende Menschen. Auch die Instrumente sind charakteristisch verschieden. Metzger machen auch Hackfleisch und verwursten das Fleisch (jedenfalls auf dem Schlachthof, weil die Wurst aus schlachtwarmem Fleisch hergestellt werden muß). Metzger zerlegen bloß, Chirurgen stellen wieder her, nähen und heilen. Wenn Chirurgen so operieren, wie Metzger Fleisch zerlegen, sind sie schlechte Chirurgen. Metzger, die den Tierkörper chirurgisch behandeln, sind schlechte Metzger.

Lakoffs Beispiele werden von ihm selbst und von seinen Anhängern unermüdlich wiederholt, meist mit denselben Nachlässigkeiten in der Deutung. Ein weiteres Beispiel:

„Betrachten wir einige Sätze aus der Alltagssprache: ‚Ihre Behauptungen sind unhaltbar‘; ‚Er griff jeden Schwachpunkt in meiner Argumentation an‘; ‚Seine Kritik traf ins Schwarze‘; ‚Ich schmetterte sein Argument ab‘; ‚Ich habe noch nie eine Auseinandersetzung mit ihm gewonnen‘; ‚Wenn du nach dieser Strategie vorgehst, dann wird er dich vernichten‘; ‚Er machte alle meine Argumente nieder‘. Alle diese Äußerungen betreffen das Argumentieren, das von uns automatisch als geradezu kriegerischer Akt beschrieben wird, der darauf abzielt, den andersdenkenden Gegner zu ,vernichten'. Den Sätzen liegt also ein gemeinsames Konzept zu Grunde, das kurz als ARGUMENTIEREN IST KRIEG charakterisiert werden kann.“ (Dietmar Till: „Aktualität der Metapher, Wiederkehr der Rhetorik. Zum ‚rhetorical turn‘ in den Humanwissenschaften“. literaturkritik.de Nr. 3, März 2008)
Das stimmt offensichtlich nicht. Die Metaphern stammen aus verschiedenen Bereichen, einige werden auch in kriegerischen Zusammenhängen verwendet, nur wenige haben (hyperbolisch, nicht metaphorisch) mit „Vernichtung“ zu tun. Die kriegsbezogenen Ausdrücke unserer Sprache sind ihrerseits meist Metaphern aus einer nichtkriegerischen Sprache, aber das wird von den Metapherntheoretikern fast nie erwähnt.
ARGUMENT IS WAR – das ist überhaupt das bekannteste Beispiel Lakoffs geworden. Es ist sachlich angreifbar. Man kann beobachten, daß Diskussionen einen gewissen agonalen Charakter haben, aber schon der Übergang zu „Krieg“ ist übertrieben und willkürlich, da es nur um den Wunsch geht, recht zu behalten. Das Muster solcher Diskussionen ist der Dialog, aus dessen näherer Untersuchung Platon und vor allem Aristoteles die Logik entwickelt haben. Dieser Dialog, der nicht die Autorität des Sprechers, sondern den Zwang des Arguments zur entscheidenden Instanz macht, findet typischerweise vor Gericht statt und mag auch durch die griechische Tragödie geprägt sein; er setzt jedenfalls bestimmte „demokratische“ Verhältnisse voraus. Darum ist es auch problematisch, die Größe ARGUMENT als universell konstant anzunehmen und Kulturen daraufhin zu vergleichen, wie sie „Diskussion“ konzeptualisieren. So scheint es in Japan eine Auffassung von Dialogen zu geben, die eher die gemeinsame Arbeit an einem Werkstück als Modell nimmt (aizuchi = wechselseitige Hammerschläge). Durch häufige Rückmeldung wird das gegenseitige Verständnis bekräftigt. Diskussion im abendländischen Sinn ist ein agonaler Dialog und sollte eher mit Spielen und Wettkampf als mit Krieg in Verbindung gebracht werden. Protagoras verfaßte ein Werk „Kataballontes“ („Niederwerfende [Argumente]“ - offenbar dem Ringkampf entlehnt, einer klassischen olympischen Disziplin; übrigens ruhten während der Olympischen Wettkämpfe alle Kriegshandlungen!).
„Wird eine Diskussion im Wesentlichen als ‚Krieg‘ wahrgenommen, geraten die kooperativen Momente, die für eine gelingende Diskussion notwendig sind, aus dem Blick – die Metapher verbirgt diesen Aspekt des Phänomens.“ (Rudolf Schmitt: „Diskussion ist Krieg, Liebe ist eine Reise, und die qualitative Forschung braucht eine Brille“. Forum Qualitative Sozialforschung 2004 (http://www.qualitative-research.net/fqs-texte/2-04/2-04review-schmitt-d.htm))
Aber wird eine Diskussion, nur weil gelegentlich eine kriegerische Metapher zu ihrer Bezeichnung verwendet wird, tatsächlich als Krieg wahrgenommen? Und woher stammt der normative Begriff einer „gelingenden“ Diskussion? Könnten bestimmte Dialog nicht gerade dann gelingen, wenn einer der Teilnehmer siegt und der andere gleichsam auf dem Rücken liegt wie beim Ringkampf? Die Widerlegung ist – vor allem in der Wissenschaft – durchaus eine Form des Gelingens. Schon die klassische Gerichtsrhetorik hat das Ziel der „Niederwerfung“ des Gegners. Auch „kooperativ“ ist ein normativer Begriff. Moralische Bewertung wird unterderhand beigemischt, ohne jede Begründung.
Es ist ein alter Philologenfehler, konventionelle Ausdrucksweisen sozusagen beim Wort zu nehmen und daraus weitreichende Folgerungen für die „Weltansicht“ der Sprecher abzuleiten. Aber etymology is not epistemology, wie McGlone sagt (Matthew S. McGlone: „What is the explanatory value of a conceptual metaphor?“ Language & Communication 27, 2007:109–126, S. 123). Schon Humboldt erlag dieser Versuchung. Wie Lakoff durch bloßes Räsonieren über den vermeintlich wörtlichen Sinn sprachlicher Ausdrücke zur Annahme entsprechender „kognitiver“ Modelle gelangt, läßt sich an einem Beispiel deutlich erkennen:
I have a headache. [The headache is a possession.]
I got a headache. [Change is acquisition -- motion to]
My headache went away. [Change is loss -- motion from]
The noise gave me a headache. [Causation is giving -- motion to]
The aspirin took away my headache. [Causation is taking -- motion from]

Lakoff verfügt nicht über einen unabhängigen Beweis dafür, daß der Sprecher Kopfschmerzen tatsächlich als Besitz ansieht. Manches spricht eher dagegen: Man kann Kopfschmerzen weder erhalten noch verlieren. Und sollte zwischen Ich habe Kopfschmerzen und Mir tut der Kopf weh wirklich ein konzeptueller Unterschied bestehen? Lakoff sammelt passende Redensarten aus dem Wortschatz, aber nicht aus Texten, sonst hätte er bemerkt, daß die Sprecher, wörtlich verstanden, nicht konsistent sprechen. Damit fällt die kognitivistische Deutung in sich zusammen.



Metapher und Modell
Ein Teil der Metaphernliteratur setzt Metapher und Modell gleich und hat es dann auf den ersten Blick leicht, die Metapher für ein bewährtes Hilfsmittel der Wissenschaft zu erklären.
Modelle können als wirkliche Gegenstände auftreten oder „in Gedanken“ gebildet werden, wozu mit sprachlichen Mitteln aufgefordert wird.
„In der Physik hat eine Metapher, das Atommodell, die verschiedensten Wandlungen durch- und überlebt, bei denen jeweils weiterführende Teilerkenntnisse gewonnen wurden, obwohl vieles andere zwischenzeitlich verworfen wurde.“ (Peter Finke: „Misteln, Wälder und Frösche: Über Metaphern in der Wissenschaft“. metaphorik.de 04/2003)
Das mit Recht so genannte Atommodell ist in Wirklichkeit keine Metapher. Bezeichnenderweise wird das Modell mit den unterschiedlichsten Ausdrücken dargestellt und näher erörtert. Es kann auch tatsächlich als Gegenstand konstruiert werden, wie man es aus Unterrichtsräumen kennt, oder als Abbildung wie in Lehrbüchern. Diese Unabhängigkeit von bestimmten sprachlichen Formen ist ein hinreichender Grund, nicht von „Metaphern“ zu sprechen. Mit einer bloßen Ersetzung von Modell durch Metapher ist nichts gewonnen. (Nach Boyd ist das Bohrsche Atommodell nur eine Illustration, weil die Eigenschaften, um deren Veranschaulichung es ging, vollständig bekannt waren. Vgl. Boyd in Ortony 1979:359. Das mögen Physiker beurteilen. Mir scheint, daß aus den Atommodellen von Rutherford und Bohr jeweils widerlegbare Hypothesen abgeleitet werden konnten, wie es eben bei Metaphern und überhaupt bei rhetorischen Figuren nicht möglich ist.)
Saussures Vergleich der Sprache mit einem Schachspiel, den Finke ebenfalls anführt, ist keine Metapher, sondern zunächst eben ein Vergleich und möglicherweise ein Modell.
Mendelejews und Meyers Periodensystem der Elemente war insofern ein Modell, als die bloße Anordnung der Elemente Voraussagen über die Eigenschaften bekannter und noch unbekannter Elemente ermöglichte. Es ist keine Metapher und nicht einmal auf Sprache angewiesen.
Der Quintenzirkel ist ebenfalls eine „aufschlußreiche“ räumliche Anordnung der Tonarten, der Farbkörper eine solche der Farben. Die Bevölkerungspyramide veranschaulicht die Altersstatistik, das Lohngefälle die Einkommensstatistik. Die Bezeichnungen sind nicht zufällig, aber auch nicht notwendig. Soweit sie metaphorisch sind, ist das Metaphorische unwesentlich.
Die Doppelhelix der DNS, ursprünglich als verdrehte Strickleiter (mit den Wasserstoffbrücken als Sprossen) gezeichnet, wurde später meist durch das bekannte Kalottenmodell ersetzt und gibt eine wirkliche räumliche Struktur wieder, wenn auch stark vereinfacht und idealisiert. Das Modell ist nichtsprachlich, die Benennung als „Helix“ spielt keine Rolle.
Sinuskurven sind keine Metaphern, sondern Konstruktionen, die durch den Eintrag von Daten in ein Koordinatensystem entstehen. Sie erlauben die Anwendung der analytischen Geometrie auf Naturerscheinungen und führen zu neuen Hypothesen und Erkenntnissen.
In der Physik der Elementarteilchen arbeitet man bekanntlich mit Wellen- und Teilchenmodellen gleichzeitig, um jeweils bestimmte Phänomene zu erklären. Der Begriff der Wellenlänge z. B. ist aber nicht mehr auf die bildliche Vorstellung einer Welle angewiesen, sondern dient lediglich dazu, meßbare Größen mit einer Benennung zu versehen.
Platon führt die Gedächtnismodelle tatsächlich als Modelle und nicht als Metaphern ein, diskutiert die Folgen, die sich daraus ergeben, und verwirft sie dann.
Freuds Triebtheorie war ein Modell und keine Metapher. Unter verschiedenen sprachlichen Einkleidungen wurde immer wieder dieses Modell ausgeführt: Die ökonomische Betrachtung nimmt an, dass die psychischen Vertretungen der Triebe mit bestimmten Quantitäten Energie besetzt sind (...). (Freud [1926] 1960, Bd. 14:302) – In diesem Fall gehörte die weitere Ausführung, vor allem die Lehre von der Erhaltung der Energie, zu den fragwürdigen Anwendungen des Modells.
Modelle machen von Idealisierungen Gebrauch. Schon die Mechanik der einfachen Maschinen arbeitet mit Idealisierungen. Bei den Hebelgesetzen legt man einen vollkommen starren Körper zugrunde, den es in der Natur nicht gibt. Die Idealisierung läßt einige Züge weg, wobei die Gefahr besteht, daß es wesentliche Züge sind. So hat man gern den idealen Sprecher einer Sprache konstruiert, der z. B. keinerlei Gedächtnisbeschränkungen oder Aufmerksamkeitsstörungen kennt. Es ist aber fraglich, ob ein Lebewesen ohne solche Beschränkungen überhaupt eine Sprache entwickeln würde, wie wir sie kennen. Das sind Gefahren jeder Modellbildung.
McGlone zeigt, daß Metaphern über den ursprünglich motivierenden Vergleichspunkt hinaus gewöhnlich keine weiteren Schlüsse zulassen. The lecture was a three-course meal charakterisiert die Reichhaltigkeit oder Qualität des Vortrages, ohne weitere Züge von Mahlzeiten zu übernehmen, wie Lakoff mit seiner „konzeptuellen“ Deutung IDEAS ARE FOOD behauptete. Galilei hat vom Buch der Natur gesprochen, das in mathematischen Zeichen geschrieben sei, aber die Mathematisierung der Naturwissenschaften hat in Wirklichkeit nichts mit dieser Metapher zu tun und ist nicht von ihr angeregt, wie die Rede von der „Lesbarkeit der Welt“ (Blumenberg) nahelegt. Die Metapher erlaubte Galilei den rhetorischen Anschluß an die Offenbarungsreligion mit ihren heiligen Schriften, während die Wissenschaften tatsächlich andere Wege gehen als den des „Lesens“. Galilei hat auch weder die mathematischen Zeichen noch irgendwelche anderen aus der Natur „abgelesen“, sondern bekanntlich etwas ganz anderes getan. Zählen und Messen sind geradezu das Gegenteil von zeichenhafter Kommunikation.
„Der Wissenschaftshistoriker Kuhn (1962) schildert, wie um 1740 die neue metaphorische Konzeptualisierung von ELEKTRIZITÄT als FLÜSSIGKEIT eine Gruppe von Forschern auf die Idee brachte, diese ‚Flüssigkeit‘ auf Flaschen zu ziehen. Dies führte zur Erfindung der sogenannten ‚Leidener Flaschen‘, einer Vorform des elektrischen Kondensators. Deren wissenschaftliche Untersuchung durch Benjamin Franklin wiederum führte zum ersten vollgültigen Paradigma für Elektrizität.“ (Olaf Jäkel: Wie Metaphern Wissen schaffen. Hamburg 2003:36)
Es handelte sich aber – und handelt sich bis heute – bei der Vorstellung von Elektrizität als „Strom“ eher um ein Modell als um eine Metapher, und in den Dokumenten zur Erfindung der Leidener Flasche durch Kleist und andere spielt die Vorstellung einer Flüssigkeit nur eine sehr indirekte Rolle:
„Bei seinem Versuch, das vermutete elektrische Fluidum in eine Flasche zu füllen, erfindet Ewald Jürgen von Kleist (1715-1759) 1745 ganz unverhofft die Leydener Flasche. Die Zufälligkeit seiner schmerzhaften Entdeckung erschwert zunächst die Wiederholung des Experiments, die Pieter van Musschenbroek (1692-1761) in Leyden durchzuführen versucht. Da Kleist nicht weiß, dass die gesteigerte Kondensatorenleistung der Flasche auf der enorm hohen Spannung zwischen ihrer Außen- und Innenwand beruht, weist er in seiner Beschreibung des Experiments nicht darauf hin, dass er selber mit der zweiten Hand die Flasche berührt und die Flaschenaußenseite somit geerdet hat. Musschenbroek muss die Leydener Flasche 1746 daher gleichsam noch einmal erfinden.“ (Christa Möhring: Eine Geschichte des Blitzableiters. Diss. Weimar 2005:29)
Nach der Schilderung Ewald von Kleists ist nicht eigentlich von einer Flüssigkeit die Rede. Außerdem berichtet er von einem „Schlag“, den er bekommen habe, sowie von Experimenten mit Entzündung einer Spiritusflamme usw. - lauter Phänomene, die nicht zur Flüssigkeitsmetapher passen. Die Glasflaschen und -trommeln waren aus anderen Gründen bereits in Gebrauch und wurden von außen elektrisiert. Die Transportierbarkeit der elektrischen Ladung war ganz unabhängig von Flüssigkeitsmodellen schon lange bekannt und ausgenutzt worden. Irreführend ist auch der Ausdruck Flasche, der das Auf-Flaschen-Ziehen nahelegt, aber das war gar nicht Kleists Gedanke. Die Glaszylinder hatten sich anderweitig als brauchbar erwiesen. Die „elektrische Verstärkungsflasche“ wirkte gerade nicht als Gefäß. (Vgl. Franz M. Feldhaus: Die Erfindung der Elektrischen Verstärkungsflasche durch Ewald Jürgen von Kleist. Heidelberg 1903).
Zur Stützung der Theorie von der erkenntnisfördernden Wirkung der Metapher hat man auch August Kekulés „Ouroboros-Traum“ herangezogen, der zur Entdeckung des Benzolrings führte:
There may also be a significant role played by metaphors in the process of scientific discovery. A well-known instance is the story of Kekulé, whose image of a snake grasping its tail provided him with a metaphor which helped him to elucidate the structure of benzene. (William Grey) (http://www.minerva.mic.ul.ie//vol4/metaphor.html)
„Eine als Geburtshelferin einer wissenschaftlichen Theorie berühmt gewordene Metapher ist der Tagtraum August Kekulés von der Schlange, die sich selbst in den Schwanz beißt. Dieses Bild führte ihn zur bekannten Darstellung des Benzolrings.“ (Heinz L. Kretzenbacher: „Wie durchsichtig ist die Sprache der Wissenschaften?“ In ders./Harald Weinrich, Hg.: Linguistik der Wissenschaftssprache. Berlin, New York 1995:15-39, S. 29; ähnlich in weiteren Veröffentlichungen.)
Gerald Hubmann sieht in Kekulés Traum ebenfalls einen Beleg für die Nützlichkeit von Metaphern:
„Kekulé berichtete, er habe 1865 die Ringstruktur des Benzols entdeckt, nachdem er nachts von einer Schlange geträumt hatte, die sich in den eigenen Schwanz beißt. Hier trifft zu, was Wittgenstein ein halbes Jahrhundert später in die Formulierung fasste: 'Ein gutes Gleichnis erfrischt den Verstand.'“
(Gerald Hubmann: „Von der Notwendigkeit der Metapher“. Gegenworte 7/2001:58-59, S. 59) (http://edoc.bbaw.de/volltexte/2010/1267/pdf/14_hubmann.pdf)
Gleichnis, Traum, Metapher, Bild – das scheint hier alles dasselbe zu sein. Kekulé hatte schon mehrere Jahre zuvor zutreffende Vorstellungen von der Wertigkeit des Kohlenstoffes und von Kettenmolekülen. Den Traum berichtete er fast 30 Jahre nach dem Ereignis. Es gibt eine ausgedehnte Diskussion zu der Frage, ob es sich um einen Tatsachenbericht oder – wenigstens teilweise – um eine literarische Fiktion handelt. Fast sicher ist außerdem, daß Kekulé sich inzwischen zu Loschmidts vier Jahre älterem, von ihm zunächst abgelehntem Vorschlag einer Ringstruktur bekehrt hatte. Da es sich aber nach Kekulés eigenem Bericht eben um eine Art Tagtraum handelte und nicht um eine Metapher, könnte man das Beispiel hier unerwähnt lassen. Seine ständige Wiederkehr in der Metapherndiskussion ist nicht gerechtfertigt.
Es dürfte schwer sein, überhaupt eine Metapher aufzuspüren, die „schockartig neue Erkenntnisse“ eröffnet. Wie sollte auch eine rhetorische „Sprungfigur“ (Lausberg) zu neuen Erkenntnissen anregen? Und wen überhaupt – den Sprecher oder den Hörer? Gerade der Sprung in eine andere Kategorie (z. B. vom technischen Gerät ins Tierreich wie bei der Maus) macht den Erkenntniszuwachs unwahrscheinlich.
Ein weiterer naheliegender Einwand: Wenn Metaphern Erkenntnismodelle sind – warum verblassen sie dann so oft? Man würde damit ja auf ein wertvolles Instrument verzichten.
Auch die Bildmischungen („mixed metaphors“) zeigen, daß es mit Erkenntnisförderung nicht weit her sein kann:
Deutschland hat sich zur Konjunktur-Lokomotive gemausert. (SZ 22.5.07)
Wer jetzt an dieser Steuerschraube dreht, zerschlägt in der Tat den Sparkurs. (FAZ 18.3.96)
Hinzu kommt der rasche Wechsel der Bilder:
„Wir müssen die Belegschaftsgröße herunterfahren“, sagte der Firmensprecher. Die schlechte Geschäftslage „ist jetzt ein ganz hartes Brot“, zumal sich in der Branche niemand traue vorauszusagen, wann sich das Blatt wieder zum Guten wenden wird. (NN 24.7.02)
Die ZEIT fragte den Politiker Peer Steinbrück: „Was haben Sie in Ihrer Zeit als Kanzlerkandidat gelernt?“ Steinbrück antwortete:
Dass Äußerungen von mir auf einer anderen Folie abgebildet werden – die Folie heißt Kanzlerkandidatur. Aussagen, die ich früher schon getroffen habe und nun wiederhole, wie etwa zum Kanzlergehalt, haben eine ganz andere Wasserverdrängung. (ZEIT 6.2.13)
Es gibt zwar einen verständliche Neigung, Metaphern lokal auszubauen, d. h. im selben Bild zu bleiben, aber das hindert den Sprecher nicht daran, das Bild auch schnell wieder aufzugeben. So wird von Immobilienblasen in der Wirtschaft zwar gern noch gesagt, daß sie platzen; aber weiter reicht das Bild meist nicht.
In den Naturwissenschaften, vor allem in der populärwissenschaftlichen Vermittlung, sind Metaphern sehr beliebt:
Rätselhafte Eisenfabrik im Universum (Max Planck Forschung 3/2002:9)
Das Quasarlicht stammt also aus der Kinderstube des Kosmos. (ebd. 10)
Irgendwelche Folgerungen (höhere Löhne für die Arbeiter in der Eisenfabrik, Früherziehung in der Kinderstube des Kosmos) werden aus solchen Ausdrucksweisen selbstverständlich nicht abgeleitet. Das Tertium ist leicht aufzufinden: Das Eisen entsteht, Himmelskörper entstehen und vergehen wie Lebewesen usw. - Wolfgang Stegmüller hat die Tatsachen so dargestellt:
„Mit der Wahl der Überschrift zu diesem Abschnitt (sc. Geburt, Leben und Ende von Sternen und Galaxien) scheinen wir uns bereits auf eine Art von Deutung festgelegt zu haben, die E. Topitsch mit den Worten 'Biomorphes Modell' umschreiben würde. Und da die Verwendung solcher Modelle für das mythische, vorwissenschaftliche Denken charakteristisch ist, scheint die Gefahr zu bestehen, daß wir uns auf ein solches Denken zurückbewegen. Doch hier würde der Schein trügen. Es ist zwar richtig, daß heutige Astronomen und Astrophysiker gelegentlich von Sterngeburten, vom Leben und vom Sterben eines Sternes sprechen. Doch sie sind sich völlig dessen bewußt, daß sie sich dabei nur einer metaphorischen Redeweise bedienen, die durch gewisse formale Analogien zu Vorgängen im Bereich des Lebendigen nahegelegt wird, daß jedoch die fraglichen Phänomene selbst erst einer Klärung und Erklärung bedürfen und zwar einer rein physikalischen, weshalb man nicht auf biologische Prozesse als Basis eines angeblichen 'Analogieschlusses' zurückzugreifen befugt ist.“ (Wolfgang Stegmüller: Hauptströmungen der Gegenwartsphilosophie, Bd. 3, 8. Aufl. Stuttgart 1987:33)
Sowohl im unendlich Kleinen als auch im unfaßbar Großen herrschen Verhältnisse, die sich zwar in der Sprache der Mathematik und Physik berechnen, in der üblichen Bildungssprache aber nicht bezeichnen lassen, ohne daß man zu übertragenen Verwendungen bekannter Wörter greift. Schwarze Löcher haben nur eine entfernte Ähnlichkeit mit etwas, was man auf der Erde so bezeichnen würde: andere Himmelskörper „verschwinden“ in diesen Massekonzentrationen, und es dringt keine Strahlung nach außen, daher sind sie gewissermaßen „schwarz“. Weiter darf man die Analogie nicht treiben. Der Urknall ist in aller Munde:
„Die Urexplosion ist kein zur Raumzeitmannigfaltigkeit des Weltmodells gehörendes Punktereignis, sondern man bezeichnet den Vorgang der sehr schnellen Dichteabnahme von beliebig großen Werten aus, mangels eines treffenderen Wortes als Urexplosion, damit dem Wort Explosion eine neue Bedeutung gebend, die sich mit der üblichen nur teilweise deckt, was leider oft zu Mißverständnissen führt.“ (Venanz Schubert [Hg.]: Der Raum. St. Ottilien 1987:168)
„Schon vor längerer Zeit hatte A. Unsöld vermutet, daß die Nova-Ausbrüche 'bloße Hautkrankheiten' von Sternen sind.“ (Wolfgang Stegmüller: Hauptströmungen der Gegenwartsphilosophie, Bd. 3, 8. Aufl. Stuttgart 1987:73)
Meteorologische Ausdrücke werden gern zur Bezeichnung der ganz andersartigen astrophysikalischen Erscheinungen herangezogen: Sonnenwind, Andromedanebel, Oortsche Wolke usw.
Ähnlich im subatomaren Bereich: Die Quantenchromodynamik schreibt den Quarks „Farben“ zu, daher der Name dieses Spezialgebiets. Die „Farben“ der Quarks haben mit dem Sehen nichts zu tun, sie sind „frei gewählt“ (Stegmüller), erlauben es aber, das Quark-Modell anschaulich darzustellen. Worauf es ankommt, sind die verschiedenen „Ladungen“ (auch dies ist eine wissenschaftlich gleichgültig gewordene Metapher) und die rein mathematischen Berechnungen, die sich darauf beziehen. Den Quarks werden noch andere Eigenschaften metaphorisch zugeschrieben, flavor, strangeness usw., ohne daß diese Metaphern irgendeine Bedeutung über die spielerische Benennung hinaus hätten.
Eine andere Metapher ist die Elektronenwolke. Sie bildet den Wahrscheinlichkeitszustand des Elektrons ab. Die Dichte der Wolke entspricht der Wahrscheinlichkeit, mit der sich das Elektron an einem bestimmten Ort befindet. Mit jedem durch eine Kombination von Quantenzahlen bestimmten Zustand ist eine bestimmte Größe, Form und Dichte der Wolke verbunden. Die Wolkenmetapher dient lediglich der Veranschaulichung, theoretisch ist sie entbehrlich.
In der Biologie ist es üblich, die Angepaßtheit der Lebewesen an ihre Umwelt abkürzend mit teleologischen Metaphern zu bezeichnen, während man sehr wohl weiß, daß Absichten keine Rolle spielen. Hierzu gehören Finalsätze, also grammatische Metaphern:
Um eine Kolonie lose miteinander assoziierter Einzelzellen in einen integrierten Organismus zu verwandeln, bedurfte es zunächst eines neuen Selektionskriteriums. (Wolfgang Wieser [Hg.]: Evolution der Evolution. Heidelberg 1994:37f.)
Moskitoweibchen trinken Blut, um Proteine zur Produktion von Eiern zur Verfügung zu haben. (SZ 4.1.08)
Populärwissenschaftliche Texte können dem Leser die fachlichen Details, insbesondere die mathematischen, nicht zumuten. Um ihm trotzdem eine gewisse Orientierung zu ermöglichen, benutzen sie Metaphern; man spricht auch von „didaktischen Metaphern“. Schon Aristoteles erkannte diese Funktion an. Die meisten Leser dürften wissen, daß solche Orientierung nur vorläufig ist und das eigentliche Studium nicht ersetzen kann.
Armin Burkhardt erklärt die Metapher für „die einzige Möglichkeit, die Grenzen des durch die historisch tradierte Sprache bereitgestellten Zeicheninventars und Regelsystems zu überschreiten“ (Conceptus 52, 1987:41), und er präzisiert kurz darauf, ihr Prinzip sei „die bewußte Regelverletzung als der alleinige Weg, die Grenzen des Sagbaren zu transzendieren“. Die oben genannten Beispiele sprechen dagegen. E = mc2 enthält eine unerhörte neue Erkenntnis, aber keine Metapher und keinen Regelverstoß.
Wenig überzeugend sind Beispiele, die Finke in der genannten Arbeit anführt:
„Gute Metaphern sind solche, die unsere Kenntnisse gegenüber dem status quo erweitern oder verbessern, schlechte sind solche, die das nicht tun oder sogar das Gegenteil bewirken. Ein Beispiel für ersteres ist die Waage mit mehreren Waagschalen, die uns eine spezielle biologische, ökonomische, technische oder auch abstrakte Systemdynamik gut veranschaulichen kann, die der Homöostase (Fließgleichgewichte). Ein überlaufendes Fass kann als Metapher für die sonst schwer fassbaren Emergenzprozesse dienen.“ (Peter Finke: „Misteln, Wälder und Frösche: Über Metaphern in der Wissenschaft“. metaphorik.de 04/2003)
In beiden Fällen wird die Metapher nicht benötigt; undurchschaute griechische oder lateinische Ausdrücke reichen, wie ja Finkes Formulierung zeigt, vollkommen aus.
„Die erwähnte Wachstumsmetapher in der herkömmlichen Ökonomik ist eine solche, deren katastrophale Auswirkungen heute erkennbar sind, aber dennoch von vielen Ökonomen offenbar in ihrer vollen Brisanz noch immer nicht erkannt werden. (Peter Finke: „Misteln, Wälder und Frösche: Über Metaphern in der Wissenschaft“. metaphorik.de 04/2003)
Wozu braucht man noch Wirtschaftswissenschaftler, wenn ihnen der Sprachwissenschaftler die Ursachen von Wirtschaftskrisen erklären kann? Es ist eine abenteuerliche Vorstellung, daß die jüngste Krise durch eine Metapher und nicht durch leichtfertige Kredite und andere handgreifliche Versäumnisse verursacht sein soll.
Der Toxikologe Hermann H. Dieter hat in einem Vortrag vor der Neuen Fruchtbringenden Gesellschaft die These von der erkenntnisfördernden Kraft der Metapher wiederholt:
„Die erklärende, ja schöpferische Kraft jeder Fachsprache und ihr gesellschaftliches Verständigungspotential hängen davon ab, wie tief sie in einen muttersprachlichen Vorrat an präzisen Wendungen, Sprachbildern/Metaphern und Assoziationsmöglichkeiten eingebettet bleibt. (...) Metaphern sind Sprachbilder, die uns helfen, per Analogieschluss von etwas Bekanntem auf die Eigenschaften eines Unbekannten zu schließen. Der Bereich zwischen bekanntem Herkunfts- und unbekanntem Zielbereich heißt Bildfeld. Es wird mit den Lexemmetaphern bildlich belebt bzw.sprachlich aktiviert.“ („Sprachenvielfalt in der Wissenschaft: Erkennen von Werten statt wertfreier Erkenntnis“. http://www.adawis.de/admin/upload/navigation/data/Erkennen%20von%20Werten.pdf)
Aber welche großen Entdeckungen oder Erfindungen sind durch die Mehrsprachigkeit der Urheber ausgelöst oder gefördert worden? Dieter bezeichnet die Doppelhelix als Metapher, obwohl sie ein Modell ist. Aus einem „muttersprachlichen Vorrat“ ist das Doppelhelixmodell schon gar nicht gewachsen. Dieter schreibt in einem anderen Text:
„An Beispielen wie dem der 'Seele' der Psychologie (ist sie ein Uhrwerk, ein Dampfkessel oder ein genau kalkulierender Rechner?), der 'Kernspaltung', von 'Welle', 'schwarzes Loch', 'Quantensprung' und 'Teilchen' der Physik oder den thumbnails/Daumennägeln fortschrittlicher Bildschirmgraphiker oder gar den Chaperones (engl. Anstandsdamen = Hilfsproteinen) der Molekularbiologie wird klar, dass auch Naturwissenschaftler/innen ihre Definitionen oder Verfahren im Stadium der Kreativität 'nicht anders als figürlich-bildlich zur Sprache und damit zur Welt zu bringen vermögen' (Uslucan 2005).“ („Man sieht, was man (er)kennt – Sprachenvielfalt als Zukunftsversprechen“. Jahrbuch Ökologie 2007:11-18, S. 18)
Das ausgeführte Beispiel der Chaperones widerlegt sich selbst, denn Dieter gibt ja die nichtmetaphorische Bedeutung „Hilfsprotein“ an. Man wird kaum glauben, daß die Chemiker das neue Phänomen zuerst nur im Bild der „Anstandsdamen“ zu fassen wußten, bevor sie erkannten, daß es sich um Hilfsproteine handelt.
Die psychologisierende Deutung der Metapher und ihrer Wirkungsweise ist weitgehend spekulativ. Rudolf Schmitt faßt die kognitivistische Theorie treffend zusammen:
„Wenn gesagt wird: ‚Die Inflation frisst die Gewinne auf‘, oder: ‚Seine Religion verbietet ihm, Wein zu trinken‘, dann werden Inflation wie Religion als essende oder verbietende Personen konstruiert. Diese anthropomorphisierenden Fiktionen legen nahe, dass diese virtuellen Personen Motive, Ziele, Handlungsweisen und Eigenschaften besitzen: Die Inflation ist ein gieriger Mensch, die Religion eine elterliche Figur.“ (Schmitt a. a. O.)
Aber solche Behauptungen müssen bewiesen werden. Durch welches außersprachliche Verhalten werden sie bestätigt? Wie richten wir uns auf die Inflation ein? Viele Menschen kaufen Immobilien, Gold oder Kunstwerke; deren Preise steigen. Was hat das mit dem Essen oder Fressen zu tun? Die Augenblicksmetapher kann konventionell werden, aber an keiner Stelle hat sie sich zu einer „anthropomorphisierenden Fiktion“ ausgeweitet. Auch die wirtschaftswissenschaftlichen Modelle der Geldwertentwicklung machen keinen Gebrauch vom Bild des fressenden Tieres. Nur Karikaturisten zeichen gern angeknabberte Münzen. Damit veranschaulichen sie in witziger Weise den Wertverfall, aber erkenntnisfördernd ist das nicht und will es nicht sein.
„In many respects, Lakoff's attempt to characterize the structure of abstract concepts solely on the basis of linguistic data bears unfortunate similarities zu Whorf's endeavour.“ (Sam Glucksberg/Matthew S McGlone: „When love is not a journey: What metaphors mean“, Journal of Pragmatics 31/12, 1999:1541-1558, S. 1557)
Könnten Metaphern die Erkenntnis behindern, wenn sie sie schon nicht fördern?
Das war die Meinung der bekanntesten Metaphernkritiker, Hobbes, Christian Wolff u. a. Aus einer ganz anderen Richtung als die Philosophie kam, wie oben zitiert, der Entwicklungspsychologe Heinz Werner zu der Einsicht, daß Metaphern im allgemeinen der Verdunkelung dienen. Die „Allgemeine Semantik“ (General Semantics) glaubte die „ptolemäischen Redensarten“ bekämpfen zu müssen, weil sie ein überholtes Weltbild konservieren: die Sonne geht auf usw. - Die Sorge scheint unbegründet. Wissenschaftler benutzen diese Ausdrücke weiter, ohne sich dadurch irreführen zu lassen. Man spricht von lang- und kurzlebigen Isotopen, von Strahlenquellen, von niedrigeren und höheren Elementen usw. – ohne jede Folge der Bildlichkeit. (Alle Beispiele von Otto Hahn) - Die Alltagssprache ist voller „falscher“ Bezeichnungen: Erdbeeren sind keine Beeren, sondern Nüsse, Erdnüsse hingegen keine Nüsse, sondern Hülsenfrüchte usw. Diese Ausdrücke spiegeln frühere, entweder generische oder metaphorische Erweiterungen wider und brauchen nicht unter dem Eindruck fachlicher Klassifikationen revidiert zu werden. Es ist auch kein außersprachliches Verhalten bekannt, zu dem die „falschen“ Bezeichnungen den Sprecher oder Hörer verführen.
Nach Friedrich Kainz hätten sich die Junggrammatiker durch die Metapher Lautgesetz zu falschen Folgerungen verführen lassen (Über die Sprachverführung des Denkens. Berlin 1972). Von ihrem Wortführer Hermann Paul kann man das nicht sagen; er wußte jederzeit, worum es beim Lautwandel in Wirklichkeit geht.
Peter von Polenz kritisiert die Aussage, daß „die Kultur unter den Hoheitsanspruch der Länder fällt“, mit folgendem Argument:
„Hier wird sprachlich verundeutlicht, daß die 'Kulturhoheit' nicht einfach wie ein Naturereignis irgendwohin 'fällt', sondern von bestimmten Verfassungsgebern, dahinterstehenden Interessengruppen und Machthabern auf die Bundesländer beschränkt worden ist.“ (Deutsche Satzsemantik. Berlin 1985:191)
Zunächst ist nicht bewiesen, daß die sprachliche Formulierung das Gemeinte „wie ein Naturereignis“ darstellt. Wenig wahrscheinlich ist auch, daß „viele Leser gar nicht mehr auf den Gedanken kommen, daß Politik auch die Möglichkeit enthält, solche historischen Systeme wie Verfassungen und Gesetze bei mehrheitlichem Bedarf auf legalem Wege infragezustellen und gegebenenfalls zu ändern.“ Sollte es wirklich Bürger geben, die Verfassung und Gesetze für naturgegeben und unveränderlich halten – wo doch in den Zeitungen tagtäglich von Gesetzes- und Verfassungsänderungen die Rede ist? – Andererseits scheint es sachlich unangemessen, den in Verfassung und Gesetz ausgedrückten Willen jederzeit auf seinen konkreten Urheber zurückzuführen. Denn erstens will man ja im Rechtsstaat durch die Kodifizierung gerade eine gewisse verläßliche Dauer und Unabhängigkeit der Normen vom schwankenden Willen täglich wechselnder Mehrheiten erreichen; zweitens hat das Gesetz durchaus eine gewisse Eigenständigkeit sogar gegenüber dem Willen seiner Urheber. Denn der ursprüngliche Wille bei seiner Kodifizierung ist nur eine der relevanten Quellen für die gegenwärtige Auslegung.
Durch Verbindung mit der traditionellen Inhaltsanalyse wird die Lakoffsche Metapherntheorie neuerdings auch dazu genutzt, politische Gesinnungen aufzudecken. Dies ging als „Metapher Program“ der Intelligence Advanced Research Projects Activity (IARPA) durch die Presse. Die Leiterin des Projekts, Heather McCallum-Bayliss, übernimmt Lakoffs Annahmen ohne jeden Vorbehalt:
Over the last 30 years, metaphors have been shown to be pervasive in everyday language and reveal how people in a culture define and understand the world around them.
Metaphors shape how people think about complex topics and can influence beliefs.
Metaphors can reduce the complexity of meaning associated with a topic by capturing or expressing patterns.
Metaphors are associated with affect; affect influences behavior.
Research on metaphors has uncovered inferred meanings and worldviews of particular groups or individuals: Characterization of disparities in social issues and contrasting political goals; exposure of inclusion and exclusion of social and political groups; understanding of psychological problems and conflicts.
Das Verfahren der Metaphernanalyse soll weitgehend automatisiert erfolgen (die Leiterin war früher bei Lockheed und IBM beschäftigt). Statt darauf zu achten, was die Leute sagen, klopft man die Sprachen auf verborgene Signale ab, mit denen sie unbewußt ihre Weltansicht und ihre Gesinnung verraten. Das Programm ist zum Scheitern verurteilt, u. a. deshalb, weil die Metaphern nicht automatisch danach sortiert werden können, wie tot oder lebendig sie sind; weil die Metaphern nicht konsistent sind; weil einheimische und entlehnte Metaphern nicht unterschieden werden; weil zwischen Metaphern aus Benennungsnot und Metaphern aus Übermut nicht automatisch unterschieden werden kann. Einige Einwände hat auch Steven Pinker gegen Lakoff vorgebracht.
Aber auch die empirischen Grundlagen sind fragwürdig. Als Beweis werden Experimente von Thibodeau und anderen angeführt. Sie sollen ergeben haben, daß Probanden einen Text über Verbrechensstatistik verschieden deuten, je nachdem, ob darin das Verbrechen metaphorisch als wildes Tier oder als ansteckende Krankheit bezeichnet ist. Die künstlich aufbereiteten Texte zeigen aber gerade nicht die Flüchtigkeit und den schnellen Wechsel der Bilder und damit das Spielerische der Metapher. Die Bestätigung der Lakoffschen Auffassung ist gewissermaßen schon in das Experiment hineinkonstruiert. So wird bestenfalls nur die schlichte Erkenntnis bestätigt, daß tendenziöse Texte den Leser beeinflussen; mit Metaphern hat das nur indirekt zu tun. Kritiker haben bereits darauf hingewiesen, daß das Metaphernprogramm leicht dazu mißbraucht werden kann, ganze Sprachgemeinschaften zu denunzieren.
Den rationalen Kern einer solchen Metaphernanalyse hat Skinner herausgearbeitet:
„Die metaphorischen Ausdrücke eines bestimmten Sprechers oder Schreibers spiegeln wider, welche Art von Reizen sein Verhalten am meisten steuert. Diese Tatsache pflegt man zu Schlüssen auf das Leben eines Autors zu benutzen, sei es, weil darüber sonst nicht viel bekannt ist, sei es zur Sicherung der Autorschaft. Bei Caroline Spurgeons „Bildern“ [Skinner bezieht sich auf das Werk „Shakespeare's imagery and what it tells us“, New York 1935] handelt es sich um Metaphern im Sinne unserer Definition. Man kann den Grundgedanken auch folgendermaßen ausdrücken: Wenn die Situation einfach unerweiterte Takts hervorruft, dann teilt uns die Reaktion zwar etwas über die Situation mit, aber so gut wie nichts über den Sprecher; metaphorische Reaktionen jedoch sind unter anderen Umständen erworben worden, und darum erlauben sie gewisse Schlußfolgerungen. Derselbe Gedanke kann auf das metaphorische Verhalten einer Sprachgemeinschaft angewandt werden.“ (VB 95)
Die „Entlarvung“ politischer Gesinnungen durch Metaphernanalyse ist auch in Deutschland sehr beliebt. Man vermißt aber durchweg ein Bewußtsein von der Beweisbedürftigkeit der Thesen.
Wie Uwe Pörksen zeigt, unterliegen Unwissende der Verführung durch Metaphern („Die Umdeutung von Geschichte in Natur“. Gegenworte 9, 2002). Darwin hat den Begriff der Selektion beibehalten, der aus der menschlichen Tätigkeit der Tier- und Pflanzenzucht stammt, und man konnte daraus falsche Schlüsse ziehen (obgleich der Sozialdarwinismus wohl auch ohne solche Anregungen aufgekommen wäre). Der Kundige weiß, daß die Hand des Züchters in der Evolutionslehre durch einen unpersönlichen Mechanismus ersetzt worden ist. Die Selektionsmetaphorik hat keinen metaphysischen Hintergrund.
Laien nehmen oft an, daß in einem „Tiefdruckgebiet“ die Luft besonders schwer auf den Menschen lastet. Dieser Irrtum würde bei einer anderen Ausdrucksweise wohl nicht auftreten. Praktische Folgen hat er aber nicht.
Der amerikanische Linguist John R. Ross ist als Erfinder zahlreicher Metaphern bekannt: anaphorische Insel, Rattenfängerkonstruktion usw. Andere haben das gern aufgegriffen, keiner hat aber aus den Bildern weitergehende Hypothesen abgeleitet oder Schlüsse gezogen.
Über die Hintergründe des Verteidigerwechsels verlor niemand ein Wort. (SZ 2.12.10, Gerichtsreportage)
Daraus würde folgen: Verteidigerwechsel ist ein Gemälde, Wörter sind Besitzgegenstände usw.
Gemeint ist: „Niemand sprach darüber, warum der Verteidiger gewechselt wurde.“ So wird es auch verstanden, ungeachtet der Metaphorik.

Metapher und Transgression
Ein Gebiet gibt es jedoch, auf dem Metaphern eine erkenntnistheoretisch bedeutsame Rolle zu spielen scheinen. Ich meine die sprachliche Erfassung dessen, was wir unser „Inneres“ nennen, auch „Geist“, „Psyche“ oder distanzierter das „Mentale“. Man spricht auch von den „Metaphern der Innenschau“ und betont, daß sich dieses Innere, der privateste Bereich eines jeden, gar nicht anders als in Metaphern ausdrücken lasse. Damit wird es allerdings fragwürdig, ob Metapher der richtige Name für eine solche Verständigungstechnik ist. Heinz Kronasser hat vorgeschlagen, von transgressiver Übertragung oder Transgression zu sprechen (Handbuch der Semasiologie. Heidelberg 1969:57, 106).
Am ehesten versteht man diese inneren Welten als Konstrukte, die von den einzelnen Sprach- und Kulturgemeinschaften, wenn überhaupt, in verschiedener Weise ausgebildet worden sind, ohne aber je die Konsistenz einer wissenschaftlichen Theorie zu erreichen. Dies ist einer der Gründe, warum die „folk psychology“ zwar in vielen psychologischen Theorien eingebaut ist, aber niemals ganz verwissenschaftlicht werden kann.
„Wir alle sprechen zwei Vokabulare, das physikalische Vokabular, mit dem wir die physische Welt beschreiben, und das alltagspsychologische, mit dem wir unser eigenes Innenleben und das unserer Mitmenschen beschreiben.“ (Holm Tetens: Geist, Gehirn, Maschine. Stuttgart 1994:125. - In Wirklichkeit beschreiben wir die physische Welt großenteils nicht mit „physikalischer“ Sprache, aber darauf kommt es hier nicht an.) Innenleben gehört allerdings bereits zu den kulturspezifischen Ausdrucksweisen.
Im Kernwortschatz der bekannteren Sprachen kommen wenigstens Entsprechungen zu denken, glauben und wissen einerseits, wollen andererseits vor, so daß man diese intuitive Psychologie auch als „Belief-and-desire-Psychologie“ bezeichnet hat; dazu wohl auch fühlen und sich etwas vorstellen sowie die Ausdrücke der Sinneswahrnehmung wie sehen und hören usw., über deren Zugehörigkeit zur psychologischen Sprache man verschiedener Meinung sein kann.
„The Chewong of Malaysia are reported to have only five terms for mental processes, translated as want, want very much, know, forget, and miss or remember.“ (Angeline Lillard/Lori Skibbe: „Theory of Mind: Conscious Attribution and Spontaneous Trait Inferences“. In: R. Hassin, J. Uleman, J. Bargh: The New Unconscious. Cambridge 2005) „In every known culture, people explain behavior in mentalistic terms, i.e., by ascribing mental states such as beliefs and desires.“ (Daniel M.T. Fessler/Edouard Machery: „Culture and Cognition“. In: E. Margolis, R. Samuels , S. Stich [Hg.]: Oxford Handbook of Philosophy and Cognitive Science. Oxford 2010:503-527; im Anschluß an Anna Wierzbicka)
Ein solcher Vorbehalt gilt bei vielen Ausdrücken. Die Abgrenzung des Psychischen ist offenbar schwierig. Für Peter Bieri (1993:5) z. B. sind Ekel und Angst etwas Mentales, Ewald Lang (1983:316) hält Müdigkeit für zwar intern, aber nicht psychisch. Während für Bieri auch Schmerz mental ist, fragt Colin McGinn, warum wir „in der Alltagssprache von Schmerz eher als von einem körperlichen denn als einem mentalen Zustand sprechen“ („Bewußtsein und Raum“. In: Thomas Metzinger [Hg.]: Bewußtsein. Beiträge aus der Gegenwartsphilosophie. 2. Aufl. Paderborn 1996: 183-200. S. 187). In der Alltagssprache beruht die Unsicherheit darauf, daß sich die Menschen normalerweise keine Gedanken über solche Abgrenzungen machen. Sprachlich wird die Seele bzw. der Geist wie ein Körperteil behandelt.
Die umfangreichen psychologischen Wortschätze, die man in den heutigen Kultursprachen findet, sind erst in neuerer Zeit entstanden. Sie bilden insgesamt etwas, was man „folk psychology“, also naive Psychologie, Laien- oder Alltagspsychologie nennt. (Der Name „Laienpsychologie“ sollte wohl besser den dilettantischen Spielarten der wissenschaftlichen Psychologie vorbehalten bleiben, während „Alltagspsychologie“ das konventionelle Verständigungsmittel von jedermann ist und damit der „Folk psychology“ am besten entspricht.) Sie sind unterschiedlicher Herkunft.
1. Die Modellierung eines „Inneren“ überhaupt mag in Vorstellungen von einer stofflichen Seele ihren Ursprung haben. Sie entweicht nach verbreiteter Auffassung beim Tode eines Menschen. Die Etymologie mancher Seelen-Begriffe deutet auf einen solchen belebenden Hauch oder Atem hin.
2. Eine andere Quelle der naiven Psychologie ist die Erfahrung der inneren Rede, des stummen Gesprächs, das wir mit uns selbst und anderen führen und manchmal auch mehr oder weniger laut artikulieren. Damit wird auch das Handlungsmodell von Planen, Ausführen und Rechtfertigen verinnerlicht.
3. Ein Teil der heute üblichen alltagspsychologischen Begriffe und Anschauungen stammt aus der akademischen Psychologie, weshalb man auch von „abgesunkenem Kulturgut“ gesprochen hat.(Norbert Groeben u. a.: Forschungsprogramm Subjektive Theorien. Eine Einführung in die Psychologie des reflexiven Subjekts. Tübingen 1988:54.) Die charakterologischen Begriffe der Allgemeinsprache lassen sich teilweise auf Typenlehren antiker Autoren wie Theophrast zurückverfolgen, es sind „terminologische Rückstände verschiedenster Geistesströmungen mit verschiedenen Menschenbildern“. (Günther Kandler in Lothar Schmidt [Hg.]: Wortfeldforschung. Darmstadt 1973:362). Skinner spricht gelegentlich vom „patchwork“ der naiven Alltagstheorien (Catania/Harnad [Hg.] 1988:87; ähnlich Austin 1985:40f.) Wir nennen jemanden cholerisch, hysterisch, schizophren. In Redensarten leben alte Organ- und Säftelehren fort: sich etwas zu Herzen nehmen, die Galle läuft über. Im zwanzigsten Jahrhundert hat besonders die Psychoanalyse ihre Spuren hinterlassen (Verdrängung, Trauma, Narzißmus).
Am Ausbau psychologischer Begriffssysteme hatten Schriftsteller, religiöse Denker, Juristen und Rhetoriker Anteil. Die Bestandteile stammen aus verschiedenen Zeiten und sind, wenn man sie buchstäblich zu verstehen sucht, nicht immer miteinander kompatibel. Es gab nie einen Grund, all diese Sprachmittel zu einem geschlossenen System zu machen. Wir nehmen keinen Anstoß an der Paradoxie, daß jemand entseelt zu Boden sinkt, nachdem er sich entleibt hat. Die Begriffe und Bilder der Alltagspsychologie dienen der lokalen Lösung von Verständigungsproblemen und funktionieren in ihren begrenzten Bereichen ganz zufriedenstellend.
Auch etymologisch lassen die psychologischen Ausdrücke erkennen, daß sie aus nicht-psychologischen entwickelt wurden: sich etwas vorstellen, erschrecken (eigentlich 'emporspringen') usw. Die technische Entwicklung liefert weitere zeitgemäße Metaphern; sie stammen aus der Feinmechanik, Hydraulik, Elektrotechnik, Elektronik usw.: Triebfeder, umschalten, speichern.
Mit diesen Versatzstücken geht der heutige Gebildete ganz unbefangen um:
Jedem Selbstmord geht ein langer Prozess von Frustrationen voraus, die das Opfer nicht mehr in den Griff bekommt. Aggressionen können nicht mehr nach außen abgelassen werden – und dann richtet der oder die Lebensmüde diese Aggressionen schließlich gegen sich selbst. (Spiegel 9.7.01 zum Tod Hannelore Kohls)
Die Rede von Frustration und Aggression verarbeitet Reste der psychoanalytischen Trieblehre. Auch die Verhaltensforschung der Lorenz-Schule hat ihre Spuren hinterlassen:
Der bayerische Verfassungsschutz beobachtet ein Ansteigen linksextremistischer Gewalttaten.
Verantwortlich dafür machte Herrmann ein 'Absinken der Hemmschwelle für Gewaltanwendung'. (SZ 31.3.09)
Journalisten, die keine Psychologen sind, trauen Schriftstellern, die ebenfalls keine sind, ohne weiteres psychologische Diagnosen zu und glauben sie auch beurteilen zu können:
Mit Renée gelingt Franzen das überzeugende Porträt einer von Selbsthaß zerriebenen, sexuell frustrierten Karrierefrau. (FAZ 6.8.05)
Ein sehr beliebtes Stück aus dem Inventar der Psychoanalyse ist der „Narzißmus“. Der norwegische Massenmörder Breivik hat eine „narzisstische Störung“, das wußten damals alle Zeitungsleser. Auch der Politiker von Boetticher, der über die Beziehung zu einer 16jährigen stürzte, ist „narzisstisch“ veranlagt (SZ 17.8.11). Ebenso der Wiki-Leaks-Erfinder Julian Assange und der libysche Herrscher: Gaddafi ist ein Narzisst (SZ 24.8.11).
Sein stets prekärer und doch offenbar unentbehrlicher Ehestand findet seine Entsprechung im Abschied vom Lyrik-Genre; die prosaische Existenzform des Bürgers und eine poetische Produktion scheinen sich auszuschließen. Dennoch setzt die Reibungshitze zugleich produktive Energien frei. (FAZ 21.4.01)
Mangels Urteilskraft war der Kaiser nicht fähig, eine Situation richtig einzuschätzen. (SZ 27.1.09)
Die psychologischen Aussagen und Diagnosen dieser Art setzen kein Studium voraus, weil sie längst in die Bildungssprache eingegangen sind, deren Triftigkeit sich von selbst versteht. So ist auch die Gegebenheit der inneren, introspizierbaren Welt für viele zu einer unbezweifelbaren Gewißheit geworden: Wilhelm Wundt bezeichnet als wahre Aufgabe der Psychologie die „Analyse der inneren Erfahrung“ (Logik 1, 4. Aufl. 1919:7). Für Hubert Rohracher gilt: „Es gibt in der ganzen Natur nichts, an dessen Existenz wir weniger zweifeln könnten als an dem, was sich in uns selbst an seelisch-geistigen Vorgängen abspielt. Wer daran zweifeln wollte, ist durch seinen eigenen Zweifel widerlegt, denn auch dieser ist ein bewußtes Erleben.“ (Hubert Rohracher: Einführung in die Psychologie. 10. Aufl. 1971:3) „Daß im Willenserlebnis eine dynamische Komponente enthalten ist - das klare Erleben einer psychischen Kraft -, ist durch Selbstbeobachtung in so hohem Grade gesichert, daß keine weiteren Beweise nötig sind.“ ( ebd. 512) Ähnlich drückte sich schon William James aus (Principles of Psychology 1890:185). Wilhelm Dilthey bekennt: „Ausschließlich in der inneren Erfahrung, in den Tatsachen des Bewußtseins, fand ich einen festen Ankergrund für mein Denken.“ (Einleitung in die Geisteswissenschaften, Leipzig/Berlin 1923:XVII) Heute wird diese Gewißheit meist in eine auf Thomas Nagel zurückgehende Fassung gekleidet: „Eine Entität hat 'Bewußtsein', wenn es für diese Entität irgendwie ist, diese Entität in dieser oder jener Weise zu sein.“ (Martin Kurthen in Sybille Krämer, Hg.: Bewußtsein. Philosophische Beiträge. Frankfurt 1996:17) „Es besteht kein Zweifel, daß wir uns selbst einer Außenwelt gegenüberstehend erleben.“ (Johannes Engelkamp/Thomas Pechmann: „Kritische Anmerkungen zum Begriff der mentalen Repräsentation“. Sprache & Kognition 7, 1988:2-11, S. 3) „Wenn sich ein Mensch durch eine verächtliche Bemerkung 'beleidigt fühlt', wenn er in Zorn gerät, wenn er nach Gerechtigkeit verlangt, wenn er sich 'für ein Ideal begeistert', wenn er nach Wissen strebt und ihm Erkenntnis wird, wenn er den 'Biß des Gewissens' oder den 'Schmerz der Reue' durchmacht, wenn er Neid und Eifersucht erlebt, wenn er nach Erfolg und Macht strebt, - in allen diesen Fällen, die mitten aus unserer Lebenserfahrung gegriffen sind und als Erlebnistatsachen so gesichert dastehen, wie nur irgendeine physikalische Tatsache gesichert sein kann, in allen diesen Fällen wäre ein Zweifel, ob es sich dabei nicht dennoch um rein körperliche und nicht um psychische Tatsachen handelt, schlechthin undurchführbar: so klar tritt hier das psychische Bewußtseinsgeschehen in seiner Eigenart gegenüber dem physikalischen Geschehen hervor. Unbezweifelbare Tatsache ist, daß es ein psychisches Sein und Geschehen gibt und daß eine Welt des Lebens und Erlebens 'neben' der wahrgenommenen Welt 'physikalischen Geschehens' besteht.“ (Theodor Erismann: Allgemeine Psychologie I, Berlin 1965:7) „Ich kann klar feststellen, daß ich jetzt diese Empfindung, diese Wahrnehmung, diesen Gedanken habe. Mir sind diese Zustände so gegeben, daß es absurd erscheint, an ihrem Vorhandensein zu zweifeln. Dies heißt aber nichts anderes, als daß sie erfahren werden und daß man diese Erfahrung als Grund dafür anerkennt, sie als vorhanden anzunehmen.“ (Volker Gadenne/Margit E. Oswald: Kognition und Bewußtsein. Berlin u. a. 1991:23)
Die Zitate, die man leicht vervielfachen könnte, zeigen schon, daß man auf zwei Wegen zu dieser Gewißheit einer „inneren“, in radikalem Sinn „privaten“ Welt gelangen kann: entweder durch ein Schlußfolgern wie Descartes oder phänomenologisch durch eine vermeintlich untrügliche Schau. In beiden Fällen handelt es sich meiner Ansicht nach um die gegenständliche Deutung einer sprachlichen Verständigungstechnik, eben der transgressiven Redeweise.
Diese Gewißheit ist so fest, daß man sie auf Säuglinge und Tiere auszudehnen bereit ist:
„Auch wenn ein Säugling seine mentalen Zustände noch nicht bewusst reflektiert, so ist doch sicher, dass er mentale Zustände hat und von Geburt an in soziale Interaktionen eingebunden ist.“ (Julia Kern: Zur Entwicklung des Verstehens von Wünschen und Überzeugungen: Elemente der kindlichen Theory of Mind. Diss. Freiburg 2005:14)
„Es wäre absurd anzunehmen, daß es für einen Hund nicht irgendwie ist, an seinem Lieblingsknochen zu nagen.“ (Michael Tye in Metzinger 1996:108)
In der Tat ist schwer zu erkennen, wie eine Widerlegung solcher Behauptungen aussehen könnte. Der Grund ist aber nicht, daß sie wahr sind, sondern daß man dazu gewissermaßen die Geschäftsordnung der Sprache verlassen müßte. Wer die transgressive Sprache der folk psychology nicht zu verstehen vorgibt, beherrscht die deutsche Sprache nicht vollständig. Beharrt er auf seiner Leugnung, wird er geradezu als verrückt angesehen:
„Anyone who is honest and not anaesthesized knows perfectly well that he/she experiences and can introspect actual inner mental episodes or occurences, that are neither actually accompanied by characteristic behavior nor are merely static hypothetical facts of how he/she would behave if subjected to such-and-such a stimulation.“ (William Lycan in ders. [Hg.]: Mind and Cognition. Cambridge, Mass. 1990:5)
Die Sprachlichkeit der folk psychology zeigt sich auch daran, daß man die Verständigungstechniken verschiedener Sprachgemeinschaften nicht ineinander übersetzen kann. So schreibt Emil Abegg:
„Der Versuchung, indische Psychologie im Hinblick auf westliche Parallelen und verwandte Weiterentwicklungen zu betrachten, mußte durchaus widerstanden werden, und so wurde es auch gänzlich vermieden, ihre Lehren ins Gewand abendländischer Terminologie zu kleiden. Ein wirkliches Verständnis indischer Seelenlehre wie indischer Philosophie kann nur auf Grund der Originalausdrücke gewonnen werden, die größtenteils unübersetzbar bleiben, weil ihnen im griechisch-abendländischen Denken nichts genau entspricht, so daß ihre Wiedergabe durch die unseren notwendig zu einer Verfälschung des indischen Gedankens führt.“ (Einführung in die indische Psychologie. Zürich 1945:9)
Bruno Snell hat uns die altgriechische Psychologie nahezubringen versucht, für die ähnliches gilt. Die indische und die griechische Psychologie, beide so buntscheckig wie die heutigen, erfüllten offenbar ihren Zweck ebenso gut wie diese, obwohl sie alle nicht miteinander kompatibel sind. Sie verhalten sich zueinander wie andere Kulturtechniken, etwa Mythen, die auch nicht in einander übersetzbar sind. Als „metaphorisch“ sind die transgressiven Ausdrucksweisen also unzureichend beschrieben. Es geht ihnen nicht um die immer genauere Erforschung eines vorgegebenen Gegenstandsbereichs, sondern um die Kultivierung von Techniken der Verhaltensabstimmung.


Zusammenfassung

Das Programm der kognitivistischen Metapherntheorie besteht darin, die Metapher nicht mehr primär als sprachliche Erscheinung, als rhetorische Figur aufzufassen, sondern als Konstrukt in einem Bereich des „Mentalen“. Sie deckt sich weitgehend mit dem sogenannten analogischen oder Modelldenken.
Soweit die sprachlichen Formen der Metapher noch berücksichtigt werden, wird ihnen ein bestimmender Einfluß auf das Denken zugeschrieben; schlüssige Beweise dieser an das linguistische Relativitätsprinzip anknüpfenden These stehen aus.
Die transgressiven Verständigungstechniken der verschiedenen „Folk psychologies“ sind vom metaphorischen Sprachverhalten abzugrenzen. Ihr Ausbau dient nicht der Erkenntnis, sondern der verfeinerten Verhaltensabstimmung.



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