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12.01.2013
 

Wider die Verwaltung der deutschen Sprache
Wortungetüme vs. assoziative Kraft

Über die formalen Aspekte des Deutschen wird seit der Rechtschreibreform ausgiebig diskutiert. Auf orthografische Richtigkeit zu pochen, bringt aber nur eins zum Vorschein: den ewigen Autokraten.

Um es gleich anfangs zu sagen: Ja, korrekte Orthografie ist wünschenswert, manchmal sogar wichtig. Es gibt sogar Fälle, da ist sie entscheidend. Aber insgesamt gesehen ist sie nicht annähernd so relevant, wie es die öffentliche Diskussion während der letzten zehn Jahre glauben machen will.

Da führen wir Deutschen über Jahre einen Feldzug gegen die Buchstaben, reformieren eine Rechtschreibung, deren Konsistenz zweifellos sehr zu wünschen übrig ließ, nur um die Reform dann noch einmal zu reformieren und als Ergebnis einen Kompromiss zu verabschieden, dessen Konsistenz zweifellos sehr zu wünschen übrig lässt.

Um es allen recht zu machen, wurden Regeln wieder geändert und neue geschaffen, vor allem aber eine Unzahl Alternativschreibweisen zugelassen. Da stehen wir nun seit mittlerweile fünf Jahren im großen Garten der Varianten, pflücken mal hier ein Blümchen, mal dort – und bestaunen die orthografische Vielfalt. Was aber ist das Ende vom Stengel? Alles in Blüte? Dazu wird wohl noch vieles gesagt werden. Genau das aber ist das Problem.

Verbissene Bürokratie mit der Rechtschreibung

Denn über diese leidenschaftliche Auseinandersetzung haben wir das Wesentliche aus dem Blick verloren: das, was die Sprache ausmacht. Verbissen konzentrieren wir uns auf den formalen Aspekt, ihre bürokratische Seite.

Dabei ist Rechtschreibung nur ein Teil der Sprache, zumal einer, der sich in seiner Verbindlichkeit ausdrücklich nur an Schulen und die staatliche Verwaltung richtet mit dem einzigen Ziel, größere Missverständnisse zu vermeiden und Texte problemlos weiterverarbeiten zu können.

Die Mäkelei der Hobby-Orthografen

Eines ist sicher: Wo die Rechtschreibung regiert, ist es mit der Kreativität nicht weit her. Statt auf die bildliche und metaphorische, kurzum die sinnliche Kraft der Sprache zu setzen, reduzieren wir sie auf richtige Schreibung und klammern uns daran wie an eine Hoffnung.

Aus purer Lust am Prinzip stecken wir den dürren Lehrer-Lempel-Finger zwischen fremde Zeilen, um mit einem Aufschrei der Entrüstung Regelverstöße zu ahnden. Über jedes geschriebene Wort fällt eine ganze Armee von Hobby-Orthografen her, die keine Gefangenen macht. Mit der Falschschreibung wird kurzerhand auch der Gedanke exekutiert, wenn nicht gar der Autor gleich mit.

Ihr Halbwissen zelebrieren sie wie eine Religion, von der sie meinen, die Welt habe nur darauf gewartet. In dem falschen Bewusstsein, der deutschen Sprache oder Kultur irgendeinen Dienst zu erweisen, mäkeln sie sich ins öffentliche Bewusstsein und eiern als Revenants der vermeintlichen deutschen Bildungskatastrophe durch die Geschichte.

Pedanten und Besserwisser anstatt Dichter und Denker?

Die leider immer noch weit verbreitete Meinung, dass ein Text, der den formalen Kriterien nicht genügt, auch inhaltlich nicht relevant sein kann, gründet sich in der Ignoranz gegenüber diskursiver Praxis. Nur allzu oft ist der Verweis auf Rechtschreibung billige Camouflage für fehlende Diskursfähigkeit. Es wird versucht, eine über den Dingen stehende Autorität zu installieren, die faktisch nicht vorhanden ist.

Das Pochen auf orthografische Richtigkeit bringt dabei nur eins zum Vorschein: den ewigen Autokraten. Ist aus diesem Volk der Dichter und Denker ein Volk von Pedanten und Besserwissern geworden?

Späte amtliche Regelungen der deutschen Sprache

Interessant ist in diesem Zusammenhang, dass wir Deutschen uns den Ruf als Dichter und Denker zu einer Zeit erworben haben, als es wirklich schlimm stand um die Rechtschreibung. Denn bis zum Ende des 19. Jahrhunderts gab es in Deutschland überhaupt keine einheitliche Schreibung. Die wurde erst mit der politischen Einigung 1871 in Angriff genommen und 1902 dann unter reger Mitwirkung Konrad Dudens erstmals amtlich geregelt.

Bis dahin hatten die meisten Verlage und Schulen ihre eigene Rechtschreibung, an der die Schriftsetzer in den Druckereien schier verzweifelt sind, weshalb Jacob Grimm den schriftlichen Umgang der Deutschen mit ihrer Sprache seinerzeit "barbarisch" nannte. Wir sollten froh sein, dass diese Zeiten vorbei sind, aber hat es unserer kulturellen Entwicklung geschadet?

Krise auch auf sprachlicher Ebene

Wie korrekt aber unsinnlich wir die Sprache oft verwenden, lässt sich an der Euro-Krise ablesen: Wortschöpfungen wie "EFSF" oder "ESM", sind klapprige Begriffsgestelle aus den Niederungen einer Beamtensprache, die sich hinter den Fakten wegduckt. Dabei ist das, was dadurch vermittelt werden soll, nicht weniger als eine der wichtigsten und weitreichendsten politischen Entscheidungen der letzten Jahre.

Welcher Mensch von Sprache würde glauben, damit die Herzen der Bürger zu erreichen? Wenn man dann als lesender Bürger auch noch mit Headlines verwöhnt wird wie "Der Rettungsschirm braucht noch mehr Feuerkraft" oder "Griechen-Krise schickt Euro auf Sinkflug", dann wird die Krise wirklich auf allen Ebenen fühlbar.

Wortungetüme vs. assoziative Kraft

Während ein Rechtschreibfehler in den meisten Fällen nicht einmal zu Verständnisproblemen führt, sind es solche Wortungetüme, verunglückten Bilder oder inkonsistenten Metaphern, die Leser ins Schlingern bringen. Wer spricht oder schreibt, ruft Bilder auf, und wie beim Gang durch eine gut kuratierte Ausstellung sollten sie aufeinander abgestimmt sein. Genau das sollten auch Kinder schon frühzeitig lernen. Sollten.

Mit Sprache umzugehen sollte heißen, ihre bildliche Tiefe auszuloten, ihrer metaphorische und assoziative Kraft, ihre Fähigkeit, Dinge sichtbar werden zu lassen, die bislang im Dunkeln gelegen haben.

Das alles fördert analoges Denken, das wiederum eine wesentliche Bedeutung besitzt für die Ausbildung von Kreativität, der Fähigkeit, Probleme zu lösen und innovativ zu sein. Unsere Sprache wäre weitaus lebendiger, wenn wir mehr mit ihr arbeiten würden, statt nur ihre Schreibung zu verwalten. Lassen wir sie leuchten!


Quelle: WELT online
Link: http://www.welt.de/debatte/kommentare/article112724211/Wider-die-Verwaltung-der-deutschen-Sprache.html


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