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01.12.2004
 

„Eine Zurückführung zur Stunde Null wird es nicht geben“
Hans Zehetmair gibt erste Interviews

Und diese Interviews machen alles nur noch schlimmer.

Bereits in der Transkription des DeutschlandRadio geht es wild durcheinander: »auseinander setzen«, »auseinander geschrieben«, »auseinandersetzen«, »zusammen geschrieben«, »durcheinandergebracht«. Und die dpa verkehrt dieses Durcheinander auch noch ins Gegenteil: Zehetmair, so wird man heute in Hunderten von Tageszeitungen - fälschlicherweise - lesen, halte es für »nicht einleuchtend, dass das räumliche "auseinander setzen" getrennt, aber "sich auseinandersetzen" mit einem Gegner zusammengeschrieben wird«.

Es ist ganz und gar kein gutes Omen. Kaum traut Zehetmair sich zu, »die Rechtschreibreform wieder in ruhiges Fahrwasser zu bringen«, wird er, der doch ohnehin »fast komplett nach der neuen Schreibweise« schreibt, auch von den Reformierten schon bespöttelt.



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Kommentare zu »„Eine Zurückführung zur Stunde Null wird es nicht geben“«
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Kommentar von Helmut Jochems, verfaßt am 02.12.2004 um 11.09 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=149#83

Kompetenter Vorsitz

Nach der Presseerklärung der KMK vom 27. 9. 2004 werden die 18 deutschen Sitze im Rat für deutsche Rechtschreibung folgendermaßen verteilt:

Institut für deutsche Sprache (2 Sitze), Gesellschaft für deutsche Sprache (1 Sitz), VdS Bildungsmedien (1 Sitz), Duden-Verlag (1 Sitz), Wissen Media Verlag/Bertelsmann-Wörterbuch (1 Sitz), Verband deutscher Zeitschriftenverleger e.V. (1 Sitz), Bundesverband deutscher Zeitungsverleger (BDZV) (1 Sitz), Arbeitsgemeinschaft der deutschsprachigen Nachrichtenagenturen (1 Sitz), Börsenverein des deutschen Buchhandels (1 Sitz), Deutscher Journalistenverband/Deutsche Journalistenunion (1 Sitz), Lehrerinnen- und Lehrerverbände in DGB und DBB (1 Sitz), Fachverband Deutsch im Deutschen Germanistenverband (1 Sitz), Symposium Deutschdidaktik (1 Sitz), PEN-Zentrum Deutschland (1 Sitz), Union der deutschen Akademien der Wissenschaften (1 Sitz), Deutsche Akademie für Sprache und Dichtung (2 Sitze)

Vermutlich wird keiner der Vereine und Verbände Herrn Zehetmair delegieren. Bringt er also als deutscher Vorsitzender den Wiener Proporz von 1996 durcheinander, oder soll er nur als Moderator die Sitzungen leiten? Für die Vorgängereinrichtungen hat es nie eine Geschäftsordnung gegeben. Fest stand jedoch, daß sie für die KMK nur eine beratende Funktion hatten. Das will Herr Zehetmair ändern. Von der KMK hört man jetzt, daß die amtliche Neuregelung am 1. 8. 2005 auf alle Fälle offiziell in Kraft tritt, und zwar in der Fassung vom 4. 6. 2004, notfalls also ohne weitere Korrekturen. Echte Korrekturen bestehen ohnehin nicht darin, daß den sprachwidrigen neuen Schreibungen die bisherigen als zulässige Varianten (420 laut Duden allein für § 36) zur Seite gestellt werden. Da die Interviewäußerungen des Vorsitzenden in spe den Verdacht nähren, er habe bis heute noch keinen Blick in das wirre Regelwerk von 1996 geworfen, kann man auf seinen Beitrag zur Wiederherstellung des Rechtschreibfriedens nur gespannt sein. Oder sollte man nicht lieber dem berühmten Kreuther Spruch des FJS vertrauen: "Es muß alles noch viel schlimmer kommen, ehe es wieder besser wird."



Kommentar von Walter Lachenmann, verfaßt am 01.12.2004 um 23.24 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=149#81

Man stelle sich vor, Zehetmair hätte auf die Frage: „Sie wollen keine totale Rücknahme der Reform?“ geantwortet: „Doch, genau darauf will ich hinaus!“ - und dies, bevor er zum Vorsitzenden dieses rätselhaften Rates gewählt worden ist. Er hätte gar nicht mehr zur Wahl antreten müssen, denn die Voraussetzung der Arbeit dieses Un-Rats ist doch bekanntlich, daß an der Reform grundsätzlich festgehalten wird.
Glauben wir ihm doch die gute Absicht, „tätige Reue“ an den Tag zu legen und die aus seiner Sicht wirklich völlig unerträglichen und sprachwidrigen Dinge, und das sind ziemlich viele, aus der Reformschreibung zu verbannen. Für unser Anliegen ist das auf jeden Fall gut, denn wenn der Rat ihm folgt, wird deren Mangelhaftigkeit in ihren vielen Einzelheiten vor aller Öffentlichkeit deutlicher bekundet, als es jeder wissenschaftlich noch so viel kompetentere "Kritische Kommentar", der in der Öffentlichkeit weitestgehend unbeachtet bleibt, hätte offenbaren können. Man wird also mit den geforderten Änderungen bald erfahren, wie miserabel das Reformwerk auch nach dem Urteil eines Kompromißbereiten ist. Das ist schon eine wohlverdiente öffentliche Abstrafe seiner Urheber.
Was kann bei Zehetmairs Bemühungen herauskommen? Diejenigen, die ihn berufen haben, können ihn nicht gut gleich wieder desavouieren und ihm zumuten, daß seine umfangreichen und tiefgreifenden Vorschläge wie diejenigen der Darmstädter Akademie einfach vom Tisch gefegt werden. Also wird man ihm so viel irgend geht zugestehen müssen. Dann haben aber die Kollegen vom VdS-Bildungsmedien dasselbe Problem, dessentwegen sie die Rückkehr zur traditionellen Rechtschreibung so scheuen wie der Teufel das Weihwasser: Umfangreiche Korrekturen in allen Wörter-, Schul- und sonstigen reformierten Büchern. Zehetmair müßte zu ihrem personifizierten Urfeind werden, der sie, wie diejenigen, die die Abschaffung der Reform anstreben, in finanzielles Elend zu stürzen sich aufs Panier geschrieben hat. Der Konflikt ist vorprogrammiert: es kann nur schiefgehen. Bis August 2005 kann überdies ein Regelwerk, das nach Bekunden seines sehnlichst herbeigewünschten und mit Vorschußlorbeeren umworbenen Sanierers, so viele grundsätzliche Mängel enthält, von einem derart von unterschiedlichen Interessen und Kompetenzen geprägten Gremium auf gar keinen Fall in eine nur annähernd praktikable Form gebracht werden.
Das weiß Herr Zehetmair natürlich auch, und die Frage ist, weshalb er sich dennoch für diese Aufgabe, an der er eigentlich nur scheiten kann, hergibt. Vielleicht sagt er sich ja insgeheim, jetzt tu ich erst mal so, als ob man das mit meiner Hilfe noch flicken könnte, und wenn das dann offenkundig auch bei dem von mir demonstrierten guten Willen immer noch nicht geht, schlage ich als »ultima ratio« (er wird es ganz bestimmt so sagen, denn er ist Altsprachler und Humanist!) die Rücknahme der Reform vor.
Mit dieser heroischen Leistung hätte er alle um die deutsche Sprache verdienten Persönlichkeiten von Walther von der Vogelweide über Luther, Grimm, Duden oder Boris Becker in den Schatten gestellt und wäre derjenige, der der deutschen Rechtschreibung in der Stunde ihrer tiefsten Erniedrigung wieder auf die Beine verholfen hat, ein Denkmal auf allen Marktplätzen wäre ihm gewiß.
So wird es zwar nicht kommen, aber vielleicht ja doch. Jedenfalls wird die Unlösbarkeit des Problems durch seinen so oder so zum Scheitern verurteilten Rettungsversuch neuerlich offenkundig und das Rechtschreibdilemma bleibt an der Tagesordnung. Somit bleibt auch weiterhin die Rücknahme der Reform als Lösungsweg plausibel und wird irgendwann auch für bislang noch der Reform positiv Zugewandte als sinnvoller Weg aus der Misere einleuchten.


Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 01.12.2004 um 11.46 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=149#76

Der Grundfehler der Reform

Münchner Merkur: "Sie wollen keine totale Rücknahme der Reform."

Zehetmair: "Nein. Das wäre nicht durchsetzbar."


Hier haben wir in kürzester Form den Grundfehler der Rechtschreibreform: Nicht was sinnvoll ist, sondern was durchsetzbar ist, wurde von Anfang an gefragt. Damit war die Tür für Interessengruppen geöffnet, und die Sprache blieb auf der Strecke.

Heute ist "durchsetzbar", was der VdS Bildungsmedien und die Fraktionsdisziplin der rot-grünen Koalition hinzunehmen bereit sind.

Mit Zehetmair werden sie leichtes Spiel haben, denn er zeigt sich noch ebenso uninformiert wie 1995. Wir sollen nun also schon bis Jahresende die soundsovielte Version der Rechtschreibreform aufgetischt bekommen. Sie wird nichts taugen, mag sie noch so durchsetzbar sein.


Kommentar von Süddeutsche Zeitung, verfaßt am 01.12.2004 um 11.11 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=149#75

»Der Reform Zähne ziehen
Hans Zehetmair über seine Pläne im Rat für Rechtschreibung

Mitte Dezember wird sich der neue Rat für Rechtschreibung konstituieren, der die größten Schwachstellen der Reform beseitigen soll. Designierter Vorsitzender ist der frühere bayerische Wissenschaftsminister Hans Zehetmair (CSU).

SZ: Glückwunsch zum neuen Amt.
Zehetmair: Der Glückwunsch relativiert sich, wenn man weiß, dass ich mich nicht um diese Aufgabe gerissen habe. Ich wollte mich der Bitte der Kultusministerkonferenz aber nicht verweigern, weil ich die Notwendigkeit sehe, die Gesellschaft mit der Reform zu versöhnen.
SZ: Wie soll Versöhnung möglich sein? Prominente Kritiker der Reform wie der Schriftstellerverband Pen und die Akademie für Sprache und Dichtung verweigern die Mitarbeit.
Zehetmair: Mir ist wichtig, dass der Rat nicht ein ad-hoc-Gremium ist, das für ein paar Jahre eingesetzt ist, um alles Mögliche zu korrigieren. Er soll vielmehr eine Dauereinrichtung sein, welche die Sprachentwicklung beobachtet. Deshalb hoffe ich auch, dass bei der Zusammensetzung das letzte Wort noch nicht gesprochen ist. Ich werde mich bemühen, dass die beiden Organisationen mitarbeiten. Im übrigen sehe ich mich nicht als Erfüllungsgehilfe der Kultusminister.
SZ: Die Baustelle, die Sie erwartet, ist groß. Bei welchen der besonders umstrittenen Teilen der Reform wollen Sie zuerst anfangen?
Zehetmair: Vier Schwachstellen möchte ich als erste bereinigen. Die Auseinander- und Zusammenschreibung muss wieder logisch geregelt werden. Es muss klar sein, dass es einen Unterschied macht, ob man Schüler auseinander setzt oder sich mit dem politischen Gegner auseinandersetzt. Zweitens brauchen wir mehr, nicht weniger Interpunktion, weil Satzzeichen den Sprachfluss strukturieren. Drittens ist die vorgesehene Eindeutschung übertrieben.
SZ: Zum Beispiel Ketschup?
Zehetmair: Ketschup ist nicht mein Lieblingsbeispiel, weil es ein grässliches Wort für eine grässliche Sache ist. Ich denke eher an Restorant. Wenn wir uns schon von Anglizismen vergewaltigen lassen, sollten wir auch mit französischen Worten nicht so pingelig sein. Viertens will ich verhindern, dass das dumme Wort Esel in E und sel getrennt wird.
SZ: All dies haben Sie vor ein paar Jahren noch befürwortet.
Zehetmair: Das stimmt. Allerdings habe ich auch erst für die neue Schreibweise votiert, nachdem ich als einziger Minister Korrekturen verlangt und auch durchgesetzt hatte. Es waren ja viel schlimmere Dinge geplant wie "Apoteke", "Filosofie" oder der "heilige Vater". Das ist mit viel Murren korrigiert worden, und man hat nicht registriert, wie viel anderer Unsinn entstanden ist. Ich ziehe durchaus den Schluss daraus, dass die Politik keine Rechtschreibung verordnen sollte.
SZ: Am Donnerstag wird Ihre Partei im Bundestag einen Antrag einbringen, der möglichst schnell eine verbindliche Rechtschreibung fordert. Ist der 1. August 2005 als verbindliches Einführungsdatum noch zu schaffen?
Zehetmair: Zuerst werden wir der Reform die schlimmsten Zähne ziehen. Ich gehe davon aus, dass das zum 1. August 2005 gelingen kann, mit Sicherheit aber nicht früher.
Interview: Jeanne Rubner«


( Süddeutsche Zeitung, 1. Dezember 2004, Seite 13 )





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