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Theodor Icklers Sprachtagebuch

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17.12.2005
 

Fälschung
Hochsymbolisches Unterwerfungssignal

Der im Internet veröffentlichte Text der Revisionsvorlagen stimmt nicht mit der Fassung überein, die den Verbänden zur Stellungnahme zugeschickt worden ist. Während die versandten Vorlagen durchweg „selbständig“ schreiben (wie das Originalregelwerk), hat die Geschäftsführerin in der Internetfassung durchweg „selbstständig“ eingesetzt.
Ich habe diesen Fall bereits unter dem Titel „Putativgehorsam“ abgehandelt. Obwohl diese Schreibweise eigentlich nichts mit der Reform zu tun hat, wird sie doch als hochsymbolisches Signal der Unterwerfung behandelt, und so soll es natürlich auch hier wirken. Dazu paßt, daß in allen Texten des Rates so weit wie möglich Reformschreibung verwendet wird – ein Präjudiz für künftige Verhandlungen, denn wie könnte der Rat eine Schreibweise anfechten, die er selbst ohne Zwang benutzt und also doch wohl richtig findet? Weder und wieder wird der KMK signalisiert: Der Rat kuscht. Die GKS ist „unstrittig“? Aber gewiß doch, nur ein paar kosmetische Verbesserungen sind noch nötig, dann ist alles in Ordnung. Die Laut-Buchstaben-Entsprechungen sind „unstrittig“? Aber ja doch, wir werden diesen Sack nicht aufmachen!

Bemerkenswert ist auch, daß die Reformer und ihre Nachfolger im Rat um keinen Preis zugeben wollen, sich mit dem „leid“ in „leid tun“ geirrt zu haben. Seit bald zehn Jahren weise ich sie darauf hin – vergeblich. Noch immer behaupten sie, das Substantiv (!) „Leid“ habe hier seine substantivischen Eigenschaften verloren. Es ist nicht zu fassen. Und das soll ein neuer amtlicher Text werden? Jeder Deutschlehrer könnte dem Rat erzählen, wie es sich wirklich verhält.



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Kommentare zu »Fälschung«
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Kommentar von Reinhard Markner, verfaßt am 17.12.2005 um 11.58 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=326#1994

Keine Fälschung, aber doch eine Verfälschung des Sachverhalts ist es, wenn zum Zwecke der Stellungnahme lediglich die Regelwerksparagraphen versandt werden, ohne zugehörige Wörterliste. Man wählt ein Verfahren, das sich als untauglich herausgestellt hat.
 
 

Kommentar von kratzbaum, verfaßt am 17.12.2005 um 15.00 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=326#1995

Reformer, Mitläufer, Nutznießer, Machthaber wollen nur eines: Demnächst soll endlich Ruhe herrschen an der Rechtschreibfront, und wenn es eine Friedhofsruhe ist. Der plumpe Versuch mit dem "unstrittig" hat nicht gewirkt. So wird nun auf "demokratische" Verfahren im Rat gesetzt. Den Kritikern kann man dann zurufen: Was wollt ihr denn? Alles ist per Abstimmung und Mehrheiten beschlossen worden. Leider, leider fand sich für eure Vorschläge keine ausreichende Unterstützung. Bleiben dann noch die unbotmäßigen Buch - und Zeitungsverlage, die ein noch größeres Ärgernis darstellen als die Kritiker, die man leicht als ewige Querulanten abstempeln kann. Die Reform einfach zu ignorieren - das ist auf die Dauer das wirksamste Gegenmittel.
 
 

Kommentar von Arndt Brünner, verfaßt am 17.12.2005 um 15.08 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=326#1996

Man hat eben gelernt. Herr Ickler und verschiedene Mitstreiter haben ja oft genug darauf hingewiesen, daß Texte von Reformern der ersten Stunde gar nicht in (jeweils aktuell) korrekter Reformschreibung verfaßt sind, sondern in vorreformatorischer Schreibweise oder mit falsch bzw. inkonsequent angewendeten neuen Regeln.

Was die Deutschlehrer angeht, so habe ich meine Zweifel. Einerseits wundere ich mich seit langem, warum ausgerechnet die Deutschkollegen entweder über die Wahrheit an den Schulen oder die Mängel der Reform schweigen oder die Reform gut finden, weil sie angesichts des kaum noch zu bändigenden Analphabetentums der heutigen Schüler die Mär von den Vereinfachungen immer noch glauben, sich also nicht wirklich informiert haben dürften. Klagen hört man aus diesen Kreisen vor allem darüber, daß man nun so oft „richtige“ Schreibweisen nachschlagen müsse und daß die Lese- und Schreibkompetenzen sowie das Textverständnis der Schüler so mangelhaft seien.
Bei Nachfrage oder Diskussion über Reforminhalte erlebe ich dann häufig zu meinem Entsetzen, daß Deutschlehrer einerseits oft nicht richtig (d.h. kaum) über die Inhalte der Reform und die Begleitumstände informiert sind. Andererseits scheinen sich viele auch gar nicht dafür zu interessieren.

Die alltägliche Beobachtung in den Schulen ist, daß ein Großteil der Fehler, die auch ältere Schüler heute machen, auf falsch verstandene und wahrscheinlich doch auch im Deutschunterricht (wo sonst?) vermittelte „Grundregeln“ der Reform zurückzuführen sind: Schreibe ss (überhaupt Doppelbuchstaben) nach kurzen und betonten Vokalen (desshalb, Ergebniss, hatt, Muschell), leite von bekannten Wörtern ab (Hänne (=Weibchen des Hahnes), Orgarn, Ihnen Ohr (Innenohr), häute (Tag nach gestern)), schreibe nach Artikeln und alle Hauptworte (bzw. alles, was danach aussieht) groß (ein Lauter schall, bitte Entschuldigen sie, er ritt Los) [typisch, warum auch immer: keine zwei groß geschrieben Wörter hintereinander], schreibe getrennt (sie war zu Frieden, her gefunden, unter wegs, verlassene Bären Höhle, mit gegeben), verwende keine Satzzeichen. Die Konjunktion Daß/dass wird in etwa 50% aller Fälle falsch „das“ geschrieben. (Kein Wunder: Die Wendung „...,daß das...“ wird ja oft mit Steigerung gesprochen, also ist das zweite a betonter, also wird dieses das mit ss geschrieben.)

Der Rat sollte sich tatsächlich einmal um „verlässliche“ (das Lieblingswort meiner Kultusministerin) Informationen aus den Schulen bemühen, wie problemlos eigentlich die neuen Regeln wirklich „vermittelt“ werden, besser: mit welchen Resultaten die an sich „leichte Vermittlung“ dieser totvereinfachten Regeln einhergeht, anstelle Lehrerverbandsvertreter zu befragen, die davon wohl herzlich wenig wissen oder wissen wollen.
Sind eigentlich tatsächlich — auch als solche arbeitende — Pädagogen im Rat vertreten, wie auf http://rechtschreibrat.ids-mannheim.de/ zu lesen ist?
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 17.12.2005 um 16.12 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=326#1997

Im Rat redet man buchstäblich gegen die Wand. In den Arbeitsgruppen geht es ähnlich zu. Wie oft habe ich in Wort und Schrift daran erinnert, daß ur- kein Wort, sondern ein Präfix ist, daß folglich Verbindungen mit ur- gar nicht unter § 36 (1.5) gehören. Glauben Sie, die Kollegen hätten das herausgenommen? Weit gefehlt. Die Mehrheit entscheidet hübsch demokratisch, daß das Falsche neben dem Richtigen auch sein wohlverdientes Plätzchen haben soll. Ist doch alles wurscht. Wie oft habe ich gesagt, daß das „Danaergeschenk“ zu Unrecht unter den Zusammensetzungen steht, die ein von geographischen Namen abgleitetes Erstglied habe; die Danaer (quidquid id est ...) leiten sich nämlich von Danaos ab und nicht von einem geographischen Ort wie die Nürnberger oder Schweizer. Dieser Fehler stand schon Jahrzehnte vor der Reform im Duden und wird weiter mitgeschleppt.
Was soll denn in § 34 E3 „Kontrastakzent“ sein? „Heraus kam leider nichts.“ Kontrastakzent? Es stimmt eben hinten und vorn nicht.

Beim nochmaligen Durchlesen der Vorlage zur GZS, so unvollständig sie ist (daher mein Sondervotum), drängt sich mir noch mächtiger auf, daß man das alles überhaupt nicht lernen kann. Man versuche doch einmal, Schülern § 36 (1.5) in Abgrenzung von (2.2) beizubringen! Ich kann jetzt den Stoßseufzer der Kommission kurz vor ihrem Verröcheln um so besser verstehen: Das soll man nicht abschließend regeln wollen. Mein eigenes Wörterbuch, in aller Bescheidenheit, sagt zur GZS, was vernünftigerweise gesagt werden kann, ist daher auch sehr viel knapper ausgefallen.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 17.12.2005 um 16.56 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=326#1998

Paragraph 39 soll bekanntlich unverändert bleiben, aber nicht, weil er nicht korrekturbedürftig wäre, sondern im Gegenteil, weil er es in solchem Grade ist, daß die AG überhaupt nicht wußte, wo sie anfangen sollte. Also wenn ein Misthaufen so groß geworden ist, daß man ihn nur mit großer Mühe beseitigen könnte, bleibt er besser liegen und wird zum Rodelhang erklärt.
Das wirklich Tückische ist die Schlußfloskel „zum Beispiel“. Da haben wir etwa die „Präpositionen, zum Beispiel: anhand, anstatt (...), infolge, inmitten, zufolge, zuliebe“ (§ 39 (3)). Wie setzt man diese Reihe fort, ohne in die andere zu geraten, bei der auch getrennt und groß geschrieben werden kann, „zum Beispiel: anstelle, aufgrund, aufseiten, mithilfe, zugunsten, zulasten, zuungunsten“ (§ 39 E3 (3))? Was werden die Wörterbücher damit machen? Sie werden sich absprechen, wie bisher, zumal sie ja im Rat sowieso verbunden sind, aber das kann ja keine Bedeutung für die Sprachgemeinschaft haben. Es war ein sträfliches Versäumnis der AG GZS, dieses Kapitel einfach liegenzulassen.
 
 

Kommentar von Jens Stock, verfaßt am 17.12.2005 um 17.42 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=326#2000

Vielen Dank an Herrn Brünner für seinen Kommentar. Ich könnte jeden Satz unterschreiben. Leider muß ich auch das vorgetragene Verhältnis der (Deutsch-)Lehrer zur Reformrechtschreibung in vollem Umfang bestätigen.

Zum Teil sind unter den Deutschkollegen die Einzelheiten der Reform nicht richtig bekannt, zum Teil werden die Regeln überinterpretiert. Ich habe schon oft genug gehört, man dürfte jetzt nicht mehr "selbständig" schreiben. Und ich habe zahlreiche für Schüler vorgesehene Kopiervorlagen gesehen, in denen im letzten Augenblick das Wort "selbständig" mit Tipp-Ex zu "selbstständig" getrimmt wurde.

Über die Wiederzulassung von Zusammenschreibungen durch die Zwischenstaatliche Kommission oder durch den Rechtschreibrat brauchen wir erst gar nicht zu reden. Ich bin mir ziemlich sicher, daß "eine verlorengegangene Eintrittskarte" bei der großen Mehrheit der Kollegen als Fehler angestrichen würde.
 
 

Kommentar von borella, verfaßt am 17.12.2005 um 19.41 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=326#2001

Scheint ein "PISA- Effekt" zu sein!

Im Rat versteht man augenscheinlich unter "Nägel mit Köpfen machen", Misthaufen in Rodelhänge umzuerklären ... (demokratisch natürlich)

Als staunender Beobachter stell' ich mir die Arbeit etwa so vor:
Ein "Lingu-Laie" formuliert irgend eine Ergänzung oder Änderung zum Regelwerk. Bekommt dieser Vorschlag in der Abstimmung eine demokratische Mehrheit, dann zählt er; egal ob es sich um Sinn oder Unsinn in wissenschaftlichem Sinn handelt. Von Konsistenz zum Rest ganz zu schweigen.

Für den außenstehenden Interessierten wirken diese speziellen Arbeitsgruppen "Besorgnis erregend" inkompetent, bezüglich dem, was sie letztlich "zu Stande" bringen ...

Wie es scheint, gibt's nicht einmal die primitivsten Methoden der Qualitätssicherung!?
 
 

Kommentar von Jan-Martin Wagner, verfaßt am 17.12.2005 um 19.56 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=326#2002

Na, dann befinden sich ja § 39 und § 113 in bester gemeinsamer Gesellschaft – bei beiden ist das Vermögen des Schreibenden maßgeblich, was er in dem zu schreibenden Wort erkennt (Hervorhebung hinzugefügt):

„§ 39: Mehrteilige Adverbien, Konjunktionen, Präpositionen und Pronomen
schreibt man zusammen, wenn die Wortart, die Wortform oder
die Bedeutung der einzelnen Bestandteile nicht mehr deutlich erkennbar
ist.

§ 113: Wörter, die sprachhistorisch oder von der Herkunftssprache her gesehen Zusammensetzungen oder Präfigierungen sind, aber nicht mehr als solche empfunden oder erkannt werden, kann man entweder nach § 108 oder nach § 109 bis § 112 trennen.“
 
 

Kommentar von Martin Valeske, verfaßt am 17.12.2005 um 22.20 Uhr   Mail an
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=326#2003

Manche Lehrer kommen auf recht kreative Ideen, wenn es darum geht, ihren Schülern die neue Rechtschreibung nahezubringen. Als ich zu Beginn des laufenden Schuljahres das Klassenzimmer einer zweiten Grundschulklasse betrat, entdeckte ich auf einem Wandplakat einige Merksätze als Hilfestellungen zum richtigen Schreiben. Daneben stand als Beispiel in großen Buchstaben: Tipp von Flipp (nicht Tipp w i e Flipp, sondern Tipp v o n Flipp). Das zweite p von Tipp war etwas abgesetzt und durch ein darübergezeichnetes Vergrößerungsglas hervorgehoben, um es den Kindern besser "einzubläuen". Als ich die Kinder fragte, ob sie wüßten, was ein Flipp sei, antworteten sie mir, das wüßten sie auch nicht. Bei Google wurde ich zwar fündig, nicht jedoch im Duden, wo ich nur den Eintrag Flip fand – nach wie vor mit nur einem p geschrieben.

Auch die Printmedien, die ja seinerzeit auf die neue Rechtschreibung umgestellt wurden, um die Schüler nicht zu verwirren, gehen oftmals mit gutem Beispiel voran. Beim Flipp wurde ich u.a. an folgende Überschriften in meiner Tageszeitung erinnert:
Qualität und Geschmack sind selbstverständlich topp
Management-"Flopps" kosten zwölf Millionen
SPD zielt auf die Mehrheit im Stadtrat 2008 - Schieder: Topp-Liste nicht zu überbieten
Topp oder Flop - Zukunft der Erzieherinnen spaltet die Gemüter
Weihrauch, ein ganz besonderes Harz mit langer Geschichte - Heute sorgen sogar Farbzusätze für mehr "Pepp"

Anfang September 2003 erhielt ich als Reaktion auf eine Anfrage das Schreiben des Chefredakteurs einer großen deutschen Tageszeitung, das ich nachfolgend ob seiner großen Ehrlichkeit und Offenheit fast ungekürzt wiedergebe (bis auf "dass" in alter Rechtschreibung):

»Sehr geehrter Herr Valeske, vielen Dank für Ihren freundlichen Brief. Sie haben völlig recht mit Ihrer Vermutung. Auch mich hat es sehr überrascht, dass praktisch kaum Leserbriefe zum Thema Rechtschreibreform geschrieben wurden. Ich hatte sogar auf eine regelrechte Welle der Empörung gehofft, um die Politik ein wenig unter Druck setzen zu können. Es ist nämlich in der Tat so, wie Sie schreiben: Die Verantwortlichen lügen ihre Mißgeburt in der Öffentlichkeit zu einem Erfolg um, obwohl sie genau wissen, was die Wahrheit ist.
Aber offenbar geht es den meisten Menschen wie mir auch: Ich habe die Hoffnung nämlich aufgegeben, dass dieser hanebüchene Unsinn wieder aus der Welt zu schaffen wäre. Leider haben auch wir, die Medien, maßgeblichen Anteil daran. In den 90er-Jahren gab es eine Umfrage der Deutschen Presse-Agentur unter den damaligen Chefredakteuren, ob diese von den meisten deutschen Zeitungen verwendete Agentur die neue Schreibweise übernehmen solle. Zu meinem großen Ärger (...) sprachen sich die Verantwortlichen mit großer Mehrheit für die Reform aus. Wahrscheinlich fürchteten die Chefredakteure seinerzeit, dass ihre Blätter mit der Beibehaltung der alten Schreibweise gegenüber den Schulkindern irgendwann einmal als altmodisch dastehen könnten.
Das war der Kardinalfehler, der die deutschen Zeitungen mitschuldig an dem ganzen Dilemma macht. Denn heute ließe sich dieses Rad nur noch mit außerordentlichem Personal- und Kostenaufwand zurückdrehen, weil alle Agenturtexte einzeln in den alten Zustand gebracht werden müßten. Vor allem in der heutigen Zeitungskrise ist dieser Aufwand schlicht nicht mehr darstellbar. Der vielzitierte Computer mit seinen albernen Rechtschreibprogrammen hilft da überhaupt nicht weiter. Im übrigen fürchte ich, auch unter den Kollegen Chefredakteuren mit meiner Meinung zur Rechtschreibreform ziemlich alleine dazustehen. Das ist ein wenig deprimierend, aber nach meiner Überzeugung auch irgendwie bezeichnend für den Zustand unserer heutigen Medienlandschaft. Die Folgen sind bekannt.
Ich denke, man kann als Journalist, zu dessen Handwerkszeug ja die Sprache gehört, nur individuell mit gutem Beispiel vorangehen. Das versuchen wir beim [es folgt der Name der Zeitung]. Aber es ist ein hartes Stück täglicher Arbeit, da die Pflege unserer Sprache und ihrer Orthographie auch in den Schulen insgesamt so offenkundig aus der Mode gekommen ist. Wir merken das bereits bei unserem journalistischen Nachwuchs. Die heutigen elektronischen Medien, auch die E-Mail-Kommunikation, tragen entscheidend zum allgemeinen sprachlichen Niveauverlust bei. So verwendet inzwischen selbst die angesehene FAZ, die ja bei der alten Orthographie geblieben ist, falsche und groteske Formulierungen wie "die teilweise Reduzierung des Abgasausstoßes". Man sieht: Es ist mit der Beibehaltung der alten Rechtschreibung allein nicht getan. Die Kollegen aus der schreibenden Zunft sollten zum Beispiel auch den Unterschied zwischen Adjektiv und Adverb kennen.
In gewisser Weise scheint mir der ganze höchst ärgerliche Vorgang "Rechtschreibreform" typisch für den Zustand unseres Landes und auch seiner Politik. Wenn sich schon kaum noch jemand um die Pflege der Sprache kümmert, können auch die übrigen Folgen nicht ausbleiben. "Wenn das Wort nicht stimmt, dann stimmt auch die Sache nicht", hat der große Karl Kraus einmal gesagt. Aber wer kennt den noch?
Sehr geehrter Herr Valeske, es tut mir leid, dass mein Brief nun doch etwas länger geraten ist. Aber Sie sehen daran vielleicht, dass mir das Thema am Herzen liegt. Vor allem aber bedauere ich, dass ich Ihnen keine optimistischere Antwort geben kann. Vielleicht besinnen sich die Deutschen eines Tages wieder darauf, dass ihre Sprache vor allem der Präzision und Verständlichkeit zu dienen hat. Aber im Moment bin ich da alles andere als zuversichtlich.«


 
 

Kommentar von Kai Lindner, verfaßt am 17.12.2005 um 23.22 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=326#2004

@ Martin Valeska

Flipp war der kluge Grashüpfer bei Biene Maja... Hü-Hüpf... Hü-Hüpf... ;-)
 
 

Kommentar von Matthias Künzer, verfaßt am 18.12.2005 um 13.17 Uhr   Mail an
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=326#2006

... nicht zu vergessen: der Hitt, hipp sein, der Slipp, der Dipp.

(Die deutscheste Sprache wie immer in der tatz:
http://www.taz.de/pt/2002/10/29/a0231.nf/text.ges,1)

 
 

Kommentar von Kai Lindner, verfaßt am 18.12.2005 um 17.16 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=326#2009

Zumindest der Slip ist, wie das Handy auch, eine reinweg deutsche Erfindung und muß daher nicht mit PP zusätzlich noch einmal eingedeutscht werden (Merriam-Webster kennt das Wort zumindest nicht in diesem Zusammenhang). Der Amerikaner spricht üblicherweise von "Panty" oder "Brief" (was wohl die Post dazu sagen würde ;-). Der "String" fällt ebenfalls in diese Kategorie und ist im englischen ein "Thong".

Für alle Anglophilen möchte ich auf die sehr gute Seite von Merriam-Webster verweisen: www.m-w.com


 
 

Kommentar von Matthias Künzer, verfaßt am 18.12.2005 um 17.28 Uhr   Mail an
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=326#2010

Hier

http://dict.leo.org/se?lp=ende&p=/Ue0E.&search=Schl%FCpfer

ist Slip als Schlüpfer bekannt. Käme auch beim Stripptease zum Einsatz. Aber das Fräulein hat keine Lust und kaut lieber Kartoffelchipps.

Auf die zehneckigen Stoppschilder freue ich mich auch schon (mit einem zweiten angeschraubten P).
 
 

Kommentar von Kai Lindner, verfaßt am 18.12.2005 um 18.19 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=326#2011

LEO ist auch eine schöne Quelle, zumal es dort auch ein Deutsch-Französisch Wörterbuch gibt.
Doch leider ist das Wörterbuch in den vergangenen Jahren mit zahlreichen falschen Worten überfüttert worden. Jeder kann einen Wortvorschlag mit Referenz einsenden und der wird öffentlich diskutiert und schließlich übernommen oder nicht. Und so wandern auch viele falsche Worte hinein...

<IRONIE AN>
zumal LEO die Ideologie verfolgt, das größte Wörterbuch seiner Art zu werden... und da lohnt es sich schon, einige Wörter zu besitzen, die kein anderes Wörterbuch sein Eigen nennt.
<IRONIE AUS>

LEO hat damit das gleiche Problem, das auch Wiki vor sich herschiebt. Und wie ich bei Themen von Wichtigkeit lieber auf meine Britannica zurückgreife, so traue ich Merriam-Webster mehr als LEO.

Unter www.odge.de findet sich übrigens ein weiteres sehr gutes Online-Wörterbuch für Deutsch-Englisch.

Als höchste Internetinstanz in der weltbewegenden Frage, was eigentlich ein "slip" ist, ließe sich auch www.victoriassecret.com anführen ;-) ;-) ;-) ... dort gibt es unter dem Suchbegriff "slip" aber nur Nachthemdchen zu kaufen.

Zum Stopschild würde ich vermuten, daß sich für uns nichts ändern wird... es wird in fast allen Ländern der Welt mit STOP geschrieben... und als krankhaft globalisierende Bananenrepublik, wird Deutschland auf das zusätzliche P gerne verzichten, um die CIA Agenten, in ihren schwarzen Kleintransportern beim Transit nach Polen, nicht unnötig zu verwirren.
 
 

Kommentar von borella, verfaßt am 18.12.2005 um 19.54 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=326#2015

"Putativgehorsam"

Dieser Ausdruck hätte das Zeug, einmal "Wort des Jahres" zu werden!
Oder eventuell auch "Unwort" ...
 
 

Kommentar von Christoph Kukulies, verfaßt am 19.12.2005 um 10.49 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=326#2020

Unter www.odge.de findet sich übrigens ein weiteres sehr gutes Online-Wörterbuch für Deutsch-Englisch.

Wie gut ist ein Wörterbuch einzuschätzen, das zu "aufwändig" mehr Übersetzungen anbietet als zu "aufwendig" und Letzteres noch als alt markiert?
 
 

Kommentar von Kai Lindner, verfaßt am 19.12.2005 um 15.44 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=326#2022

Aufwändig oder Aufwendig sind beide auch in NRS gleichwertig... zumindest gemäß meinem Reformduden (ich habe allerdings nur den ersten Reformduden Auflage 21... und ich habe nicht die Absicht, mir ein weiteres modernisiertes Exemplar zu kaufen ;-)
Problematisch ist in einem Wörterbuch natürlich, wenn eine Schreibung bevorzugt wird. Doch der Programmier- und Wartungsaufwand für die Datenbank würde sich durch mehr als nur 1-zu-1-Verknüpfungen drastisch erhöhen.
Aber eines muß man sich natürlich bei Internetpublikationen wie ODGE immer klarmachen. Sie sind *natürlich* in Neuschrieb – LEO auch, nur kaschiert es das besser, indem es bei der Suche SS und ß als Synonyme verwendet, und so viele klassische Wörter findet.

 
 

Kommentar von Bernhard Eversberg, verfaßt am 19.12.2005 um 16.02 Uhr   Mail an
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=326#2023

In Suchfunktionen sollten ß und ss immer gleichwertig sein! Das sind sie auch in allen Bibliothekskatalogen und sogar in Google, in Word aber nicht.
Für das Suchen sind nur die echt veränderten Schreibweisen problematisch, wozu "aufwändig" natürlich zählt, denn ä und e sind nirgends gleichwertig. Also potenzi..., differenzi... samt allen Komposita, Dreierkonsonanten, neue f- statt ph-Schreibungen, rau... statt rauh... – solche Dinge sind problematisch und noch nirgends gelöst – man muß also beim Suchen dran denken. Die Reform hat das deutschsprachige Textkorpus verunreinigt und für maschinelle Prozesse aller Art neue Probleme geschaffen – sagt ja z.B. auch Prof. Stetter (Aachen) seit Jahren, ohne daß es irgendwen beeindruckt. Macht ja auch mehr Spaß, beim Suchen immer mal diese Dinge zu berücksichtigen. Die Reformer haben, anders als der Linksparteitag neulich, die selbstgeschaffenen Probleme nicht selber gelöst, können allerdings auch auf Wählerstimmen pfeifen.
 
 

Kommentar von Jan-Martin Wagner, verfaßt am 19.12.2005 um 18.01 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=326#2024

K. Lindner: »Aufwändig oder Aufwendig sind beide auch in NRS gleichwertig... zumindest gemäß meinem Reformduden (ich habe allerdings nur den ersten Reformduden Auflage 21... und ich habe nicht die Absicht, mir ein weiteres modernisiertes Exemplar zu kaufen ;-)«

Sie sind es auch jetzt noch; schauen Sie mal im aktuellen amtlichen Wörterverzeichnis (das unter http://www.ids-mannheim.de/reform/ zum Abruf bereitsteht) auf Seite 110 nach.
 
 

Kommentar von Jan-Martin Wagner, verfaßt am 19.12.2005 um 18.07 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=326#2025

R. Markner: »Keine Fälschung, aber doch eine Verfälschung des Sachverhalts ist es, wenn zum Zwecke der Stellungnahme lediglich die Regelwerksparagraphen versandt werden, ohne zugehörige Wörterliste. Man wählt ein Verfahren, das sich als untauglich herausgestellt hat.«

Und wenn wirklich nur das versandt worden ist, was auf der Ratswebseite zu sehen ist, fehlen außerdem noch die Teile, die der Rat nicht überarbeitet hat. Unter http://rechtschreibrat.ids-mannheim.de/doku/para33-39.html heißt es ja lapidar: »§ 38 und § 39 verbleiben nach Vorschlag des Rats für deutsche Rechtschreibung grundsätzlich in der Fassung von 2004.«

Wer dann nicht auf die Idee kommt, sich diese Paragraphen herauszusuchen und ebenfalls durchzugehen (etwas weil er annimmt, wenn der Rat das so lassen will, dann wird das wohl in Ordnung sein), merkt gar nicht, um welche Tück es da eigentlich geht (vgl. die Erläuterungen von Herrn Ickler, http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=326#1998).

 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 19.12.2005 um 18.35 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=326#2026

Doch, die nichtbearbeiteten Teile sind versandt worden, und man kriegt das kalte Grausen, wenn man sie liest.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 07.07.2018 um 08.38 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=326#39009

Die Zeitschrift „Begegnung“ (1/2018) bespricht Uwe Grunds Buch „Orthographische Regelwerke im Praxistest“, bringt es aber nicht über sich, den Titel korrekt anzugeben („Orthografische“). Philologie ist in Ordnung, aber Fügsamkeit ist wichtiger, gerade für Pädagogen.
 
 

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