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Theodor Icklers Sprachtagebuch

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26.07.2013
 

Täterverschweigung
Das Passiv als "täterabgewandte Diathese"

Mit dieser Formel hat Leo Weisgerber eine nicht ganz neue Deutung recht gut auf den Punkt gebracht. Das Passiv hat noch andere Funktionen, aber diese läßt sich immer wieder durch Beispiele belegen.

55 000 Berliner Juden vom Säugling bis zum Greis wurden in die KZ-Lager Auschwitz und Theresienstadt verschleppt und bestialisch ermordet. (Gedenkstein in der Großen Hamburger Straße, Berlin)

Er (der Papst) bat um Vergebung für die Leiden, die den Juden in der Geschichte zugefügt wurden. (SZ 13.2.09)

Wie kann man um Vergebung für etwas bitten, wenn man es nicht selbst getan oder verschuldet hat?

Zum Gedenken an die am 10. November 1938 frevlerisch zerstörte Synagoge und an unsere ermordeten jüdischen Mitbürger (Gedenkstein in Marburg)

Christine Brückner berichtet über Marburg: „Das Ödland neben dem Landgrafenhaus, auf dem bis zu ihrer Zerstörung die Synagoge gestanden hatte; der Platz wurde von der Bevölkerung gemieden.“ (Nirgendwo ist Poenichen. Berlin 1977:125)

In der Tat ein auffallend stiller Platz, auf dem ich mich oft aufgehalten habe, um mein Mittagbrot zu verzehren. (Ich bin aber jetzt schon 30 Jahre nicht mehr dort gewesen und weiß nicht, wie es heute aussieht.)



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Kommentare zu »Täterverschweigung«
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Kommentar von Marco Niemz, verfaßt am 26.07.2013 um 22.47 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1568#23748

Auf dieser Internetseite wird die Stelle der ehemaligen Synagoge von Marburg in ihrer heutigen Gestaltung gezeigt.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 27.07.2013 um 03.29 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1568#23750

Danke für den Hinweis, darauf hätte ich ja auch selbst kommen können! Nun, das ist in der Tat nicht wiederzuerkennen.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 21.03.2014 um 04.04 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1568#25438

Es muß übrigens nicht das Passiv sein. Im nordhessischen Witzenhausen, wo ich aufgewachsen bin, gibt es einen Gedenkstein:

Hier stand bis zum Jahre 1938 die Synagoge der jüdischen Gemeinde Witzenhausen

In jenem Jahr ist sie dann wohl umgefallen.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 22.03.2014 um 05.25 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1568#25450

Nachtrag zu Witzenhausen:

Bereits 1946 wurde am Platz der Synagoge (Park des Stadtkrankenhauses) ein Gedenkstein aufgestellt mit der Inschrift: "Nach unmenschlichen Grausamkeiten mussten 55 Männer, Frauen und Kinder der jüdischen Gemeinde Witzenhausen in Konzentrationslagern ihr Leben lassen. An dieser Stätte fiel am 9.11.1938 die Synagoge dem nationalsozialistischen Terror zum Opfer." Der Gedenkstein wurde 1951 auf den jüdischen Friedhof an der Fährgasse versetzt, wo er seitdem geblieben ist. Ein später errichteter kleiner Gedenkstein zur Erinnerung an die Synagoge steht heute im Bereich des Grundstückes des ehemaligen, nicht mehr bestehenden jüdischen Schul-/Gemeindehauses, nicht im Bereich des Synagogengrundstückes. (http://www.alemannia-judaica.de/witzenhausen_synagoge.htm)

Als Kinder haben wir davon so gut wie nichts gewußt. Die Juden des Ortes wurden gelegentlich erwähnt, jüdische Geschäfte, jüdische Mitschüler, das hatte einen gewissen Gruselreiz, man erfuhr aber nichts Genaueres. Wenn ich bedenke, daß etwa zu meiner Einschulung (1950) die Greuel erst so wenige Jahre zurücklagen! Zu den angesehensten Bürgern gehörte der Gelehrte Karl August Eckhardt, dessen Haus damals etwas abseits lag. (SS-Sturmbannführer, berüchtigter Nazi-Jurist, Berufsverbot, aber davon wurde nie gesprochen.)

Die Sache mit dem versetzten und ersetzten Denkmal hat auch Manfred Baumgardt bemerkt: „Es stand alles in der Zeitung“. (BoD)

Eigentlich wollte ich nach über 56 Jahren wieder einmal in meinen Heimatort zurückkehren, den ich seither nicht mehr gesehen habe, aber von Baumgardts Buch ist mir noch so übel, daß ich keine Lust mehr habe. Das ist natürlich ganz unvernünftig, aber trotzdem.
 
 

Kommentar von Germanist, verfaßt am 22.03.2014 um 18.07 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1568#25461

Witzenhausen ist überall in Deutschland und Österreich.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 29.01.2015 um 06.54 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1568#27927

Nicht nur mit dem Passiv kann man den Agens verschweigen. Die heutige FAZ kommentiert das Urteil zur Samenspende. Autor Reinhard Müller schließt seine Forderung strenger Regeln:

"Wenn in diesen Tagen so viel vom Fundament unserer Kultur die Rede ist, die es zu verteidigen gelte – hier kann man anfangen. Die Verachtung, die dem Westen entgegenschlägt, hat schließlich ihre Gründe. Einer lautet: Relativismus und Selbstaufgabe."

Er sagt nicht, von wem die Verachtung unseres (auch von Papst Benedikt unermüdlich angeprangerten) "Relativismus" ausgeht und wie es mit den im Kommentar erwähnten Menschenrechten bei unseren Verächtern aussieht. Auch scheint es mir etwas unverhältnismäßig, ein Detail wie die Vaterschaft bei Samenspenden in weltgeschichtliche Zusammenhänge zu stellen.
 
 

Kommentar von SP, verfaßt am 13.04.2016 um 18.38 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1568#32264

Auf einer mit einigen Logos, EU auch dabei, versehenen Informationstafel am Gutshaus Federow im gleichnamigen Dörfchen in Mecklenburg ist zu lesen:

"...wurde das Gebäude als Sommersitz und Jagdquartier genutzt.
Nach der Enteignung 1945 diente das Gutshaus Flüchtlingen als Unterkunft. Danach wurde es bis 1999...."

Wer hat denn da enteignet?

Die englische Übersetzung führt auf die Spur der Täter:

"After expropriation in 1945 the building hosted refugee families of the eastern territories of the old Germany."

Exproprisowieso, war da nicht mal was?
 
 

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