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Theodor Icklers Sprachtagebuch

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16.04.2014
 

Redensarten
Apologetische Signale entschärfen Klischees

Unser "mokantes" Verhältnis zur Sprache (nach einer Beobachtung Wolf Schneiders) zeigt sich auch im Umgang mit Phraseologismen verschiedenen Umfangs.
Wir gebrauchen sie zwar, distanzieren uns aber gleichzeitig von ihnen, indem wir dem Hörer oder Leser signalisieren, daß wir uns des Nichtkreativen bewußt sind und uns dafür entschuldigen, wie durch ein Augenzwinkern oder durch ausgeschriebene Anführungszeichen.

Wer den Schaden hat, braucht bekanntlich für den Spott nicht zu sorgen. (FAZ 16.4.14)

Der Vorgang erinnert an die sprichwörtliche Suche nach der Stecknadel im Heuhaufen. (Münsterländische Volkszeitung 14.4.14)

In anderen Kulturen ist man nicht so empfindlich, sondern benutzt Sprichwörter und Redensarten in ungebrochenem Vertrauen auf die Kraft des Bewährten. Wörter mit modrigen Pilzen zu vergleichen käme dort niemandem in den Sinn. Beim Korrigieren studentischer Arbeiten aus dem arabischen oder chinesischen Kulturraum muß man das berücksichtigen.



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Kommentare zu »Redensarten«
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Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 13.02.2024 um 21.32 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1611#52757

„Restaurantbesuche waren auch früher oft kein günstiges Vergnügen.“ (SZ 13.2.24)

Hier ist der Euphemismus aus der Werbesprache in die Redensart eingedrungen, die aber nun mal „billiges Vergnügen“ heißt.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 16.11.2023 um 10.21 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1611#52196

Meinem Eindruck nach hat sich der "Elefant im Raum/Zimmer" in letzter Zeit unter Journalisten exponentiell ausgebreitet. Wikipedia gibt die interessante Geschichte dazu.
 
 

Kommentar von Germanist, verfaßt am 30.10.2023 um 15.05 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1611#52052

Es wird nie gesagt, wieviele Schleier bei der "Schleierfahndung" schon gefunden wurden. Bei der Substantiv-Zusammensetzung gehen die Präpositionen verloren, und ohne Präpostionen benötigt es einen Instrumental.
 
 

Kommentar von Manfred Riemer, verfaßt am 29.10.2023 um 14.37 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1611#52048

Bestes Fleisch trifft tollen Wein
(über eine Veranstaltung einer Metzgerei und eines Weinkellers, MM, 27.10.23, S. 11)

Japanischer Schick trifft tollen Motor
(über ein neues Automodell, MM, 28.10.23, S. 33)

Sprachpoet aus dem Erzgebirge trifft Brecht
(Veranstaltung über Carlfriedrich Claus und Bertold Brecht, kein persönliches Treffen der beiden, Freie Presse, 27.10.23, S. 10)

In letzter Zeit werden diese schon nicht mehr originellen Treffen immer häufiger. Sehr beliebt sind die Treffen spezieller Zutaten in Kochrezepten.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 08.08.2023 um 15.08 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1611#51582

„Ich habe die Schnauze voll“ - eigentlich eine seltsame Wendung, denn warum sollte man seine eigenen Körperteile so abschätzig bezeichnen? Der Unwille über das Objekt ist gewissermaßen auf den Unwilligen selbst verschoben. (zur Bedeutung etwas satt haben, die Nase voll haben, es stinkt mir).
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 17.06.2023 um 04.07 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1611#51267

Übrigens sind Stühle nicht unbedingt bequemer oder gar gesünder als jene Bänke. Stundenlanges Sitzen auf Stühlen soll gerade für Kinder und Jugendliche ebenso verderblich sein wie Schuhe, ohne die es ja auch die vielen Fußbeschwerden so wenig gäbe wie die Rückenleiden durch Sitzen. Auch jene Völker, die noch das natürliche Sitzen auf den Fersen oder im Schneidersitz praktizierten, haben inzwischen Stühle eingeführt und ruinieren damit ihre Gesundheit. In Kursen wird hierzulande die tiefe Hocke gelehrt, aber natürlich viel zu spät und nur als akrobatische Übung.
Steinzeitdiät ist zwar Unsinn, aber es war nicht alles verkehrt bei den Flintstones.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 16.06.2023 um 19.49 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1611#51265

Die Schulbank kommt ja nur noch in der Redensart vor, und unsere Kinder und Enkel müssen schon ins Museum gehen, um eine zu sehen.
Wikipedia gibt zum Stichwort nur eine Literaturangabe: "Hnilica, Sonja: Disziplinierte Körper. Die Schulbank als Erziehungsapparat. Edition Selene, Wien 2003"
Ach Gott, wie hart muß unsere Kindheit gewesen sein! Man denkt an schwarze Pädagogik, Streckapparate für den Rücken oder gar jene Schreberschen Erfindungen zur Verhinderung der Selbstbefleckung.
 
 

Kommentar von Stephan Fleischhauer, verfaßt am 23.04.2023 um 09.26 Uhr   Mail an
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1611#50940

Ich kenne auch "andere Hausnummer", was wohl so etwas wie "andere Größenordnung", "andere Kategorie" bedeutet.
 
 

Kommentar von Manfred Riemer, verfaßt am 22.04.2023 um 22.21 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1611#50937

"Wir sprechen über ein Milliardenpaket von 17 Milliarden für die beiden Jahre 23 und 24, und wir sprechen über lineare Steigerungen von fast 12 Prozent für die kommenden Jahre ab 25. Das ist eine Hausnummer!"
(VKA-Präsidentin Karin Welge heute in der Tagesschau)

Wenn eine Zahl in mehreren Jahren jeweils um die gleiche Prozentzahl steigt, dann spricht man nicht von linearer, sondern von exponentieller Steigerung. Bei linearer Steigerung müßte die Prozentzahl von Jahr zu Jahr immer kleiner werden.

Aber eigentlich wollte ich etwas zur Redensart mit der Hausnummer sagen. Die Präsidentin meint ja wohl damit eine besonders große oder bedeutende Zahl.

Im "Wiktionary" steht unter Hausnummer:
[i]übertragen: grobe Schätzung oder ungenaue Angabe einer Zahl, auf die man sich zum Beispiel nicht festlegen lassen will, auch: Zahl, die keinen Wert darstellt."

Damit deckt sich auch meine Kenntnis. Ich habe die Redensart beim Skat kennengelernt. Wenn Vorhand schon ungeduldig auf das erste Reizangebot wartete, forderte er z. B. Mittelhand auf: "Na los, sag ne Zahl oder ne Hausnummer!" Gemeint war damit irgendeine Zahl und nicht eine besonders große. Wenn dem Mitspieler keine einfiel, sollte er halt an seine oder irgendeine Hausnummer denken. Das ist natürlich scherzhaft gemeint, denn wer etwas gewinnen will, sollte beim Skat nicht gerade auf Zufallszahlen setzen.

Allerdings höre ich die Redewendung mit der Hausnummer jetzt immer öfter in dieser seltsamen neuen Bedeutung einer besonders großen oder bedeutenden Zahl. Anscheinend gerät die alte Verwendung in Vergessenheit.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 20.11.2022 um 04.19 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1611#49908

In der Wortbildung und in phraseologisch verfestigten Vergleichen halten sich noch längst veraltete Gegenstände, Bräuche, Maßstäbe: haushoch, Meilenstein, Dampfwalze.
(In meiner Kindheit gab es noch einige Dampfwalzen im Straßenbau.)
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 07.10.2022 um 04.10 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1611#49738

Das Wort "Nabelschau" wird immer noch oft verwendet, ausschließlich im übertragenen Sinn. Ich habe dabei immer an Fakire und indische Meditation gedacht, aber wie ich jetzt sehe, ist der Hintergrund christlich. Der Wikipedia-Eintrag samt Verzweigungen ("Taborlicht" usw.) lenkt den Blick auf eine inzwischen ganz versunkene Welt.
 
 

Kommentar von Manfred Riemer, verfaßt am 30.05.2022 um 17.09 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1611#49167

Übrigens, lieber Herr Chmela, ich hatte den Liedtext nicht mehr genau im Kopf, aber die "Schiefe" kommen ja auch mehrfach darin vor. Also haben wir hier schon einen bairischen Sonderfall.
(Neuerdings sagt man ja so schön gestelzt, ein "Alleinstellungsmerkmal".)
 
 

Kommentar von Manfred Riemer, verfaßt am 26.05.2022 um 15.59 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1611#49151

Ja, darin gibt es offenbar Unterschiede. Im Norden wird auch das im Hochdeutschen kurze i wohl unabhängig von der Zahl immer etwas länger und geschlossen ausgesprochen. Ich muß gelegentlich einmal speziell darauf achten (der pommersche Familienanteil ist leider mittlerweile schon sehr klein).
 
 

Kommentar von Gunther Chmela, verfaßt am 26.05.2022 um 11.58 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1611#49150

"Nicht nur in Bayern. "Ein Schief... "
Ist denn dann die Pluralbildung auch ähnlich wie bei uns?
Im Bairischen: "da Bliez", Pl. "de Blitz", "as Schief", Pl. "de Schiff".
Bei vielen Substantiven ist der dann kurze Vokal die einzige Möglichkeit, den Plural zu kennzeichnen, wenn keine andere Pluralbildung üblich ist.
 
 

Kommentar von Manfred Riemer, verfaßt am 26.05.2022 um 11.27 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1611#49149

zu #49144:
Wollte ich doch schon immer wissen, was das mit einem macht. Nun ist es wenigstens ein bißchen klarer: Es faßt einen an!

Die Redensart paßt besonders zu den Leuten mit der Eigenart, beim Reden ihr Gegenüber dauernd anzutatschen.
 
 

Kommentar von Manfred Riemer, verfaßt am 26.05.2022 um 11.14 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1611#49148

Nicht nur in Bayern. "Ein Schief wird kommen" (Lale Andersen), usw. In der Familie meiner aus Pommern (Schneidemühl) stammenden Mutter wird auch so gesprochen.
 
 

Kommentar von Gunther Chmela, verfaßt am 26.05.2022 um 10.06 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1611#49147

Zum Dialekt ein Beispiel aus meiner eigenen Kindheit.
Ich habe geglaubt, der Vogel Fischreiher heiße "Vieh-Schreier".
Wenn man im altbairischen Sprachgebiet daheim ist, dann ist die Erklärung dafür einfach: Da im Bairischen in einsilbigen Substantiven im Singular der Vokal immer lang gesprochen wird, klingt der "Fisch" also wie "Fiisch", bzw. "Fiesch" o. ä. Der Rest ergibt sich von selbst.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 26.05.2022 um 05.12 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1611#49145

Noch zum Dialekt:

In meiner Kindheit hieß Kartoffelbrei, besonders wiederaufgewärmter, "Babbch". Das habe ich erst als Erwachsener durchschaut (Pappig, von meinem sächsischen Großvater her).

In Kassel gab es den äußerst nahr- und schmackhaften Speckkuchen. Man stand dichtgedrängt auf dem baumbestandenen Lehmboden des heute vollkommen sterilisierten Königsplatzes und führte sich die dringend notwendigen Kalorien zu. Ein Lieferwagen brachte stündlich die großen Bleche mit Nachschub. Außer Speckgrieben lagen auf dem heißen Brotteig Stücke von "Spannschlauch". Es machte mir nichts aus, dieses absurde Wort hinzunehmen. (Spanisch Lauch – das sind Frühlingszwiebeln, die aber auch heute noch überall anders heißen.)
 
 

Kommentar von Theodor Ickler , verfaßt am 26.05.2022 um 05.00 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1611#49144

In den Medien liest und hört man jetzt ständig, jemand sei "angefaßt", "das faßt mich sehr an" usw. Anscheinend eine Neuübersetzung von touch.

Der Betroffenheitswortschatz ist besonders erneuerungsbedürftig, sonst glaubt einem keiner (Synonymenschub).
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 23.01.2022 um 06.02 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1611#48317

Mir fallen jetzt oft Dinge aus meiner Kindheit ein. Wir wurden ermahnt, keine „Knepe“ zu machen. Das Beispiel zeigt nochmals die Nähe meiner nordhessischen Heimat zum Niederdeutschen. Meine Frau teilt von ihren Eltern her einen großen Teil des mitteldeutschen Wortschatzes mit mir, aber manches Niederdeutsche – wie die "Knepe" – hat sie noch nie gehört. Was ihre Eltern, bis zwölf ihre einzige deutsche Sprachquelle, nicht verwendeten, konnte sie nicht kennen, weil sie keine deutschen Spielkameraden usw. hatte; mit ihrer Schwester sprach sie englisch, bis sie von Irland nach Oberbayern übersiedelte. Das Baierische blieb ihr fremd, mein mitteldeutscher Tonfall kam ihr dann vertraut vor.

Neben der Dialektologie gibt es auch dieses Gebiet der individuellen Sprachbiographien, die bei der heutigen Mobilität fast jeder hat. Die Mitarbeiter am Deutschen Sprachatlas können ein Lied davon singen: Wo gibt es noch den alteingesessenen Dialektsprecher?
 
 

Kommentar von Stephan Fleischhauer, verfaßt am 22.11.2021 um 19.24 Uhr   Mail an
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1611#47675

Frankfurt verschafft sich Luft nach unten
Eintracht Frankfurt hat mit einem Sieg beim SC Freiburg deutlich Distanz zur Abstiegszone der Fußball-Bundesliga hergestellt.

https://tagesschau.de/sport/sportschau/bundesliga-freiburg-frankfurt-101.html
 
 

Kommentar von Christof Schardt, verfaßt am 25.10.2021 um 22.08 Uhr   Mail an
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1611#47416

Hier meine gesammelten Blüten (alle von derselben Person): Der scharrt mit den Kohlen. Drei-Groschen-Roman. Schach in zwei Zügen. Die gehen auch nur übers Wasser. Da habe ich Lehrgeld gesammelt.
 
 

Kommentar von Erich Virch, verfaßt am 25.10.2021 um 19.03 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1611#47415

Aus meinem persönlichen Gewäschebuch: Der Fernstecher und das Licht am Ende der Fahnenstange.
 
 

Kommentar von Christof Schardt, verfaßt am 25.10.2021 um 15.24 Uhr   Mail an
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1611#47414

Es gibt Menschen mit der Gabe, garantiert jedes Sprichwort irgendwie zu versemmeln. Oft, indem es mit einem zweiten Sprichwort gekreuzt wird (bzw. kontaminiert, wie Sie es bezeichnen, Herr Ickler).
Meist ist dazu ein reziprokes Ergänzungssprichwort bildbar. So konnte ich einen Freund, der "das Kind vom Eis" bringen wollte, gerade noch davor warnen, die Kuh mit dem Bade auszuschütten.
Bei der CDU könnte also Spahn die empörte Frage an Laschet richten: "Sag mal, hast du noch alle Kirchen im Dorf?"
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 25.10.2021 um 07.39 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1611#47410

Nachdem Jens Spahn gesagt hatte, die CDU befinde sich an einem Tiefpunkt ihrer Geschichte, wies ihn sein Parteifreund Armin Laschet zurecht: Er solle "die Tassen im Schrank lassen". "Nicht alle Tassen im Schrank haben" ist kontaminiert mit "die Kirche im Dorf lassen". Aber eigentlich heißt es doch "spinnen", und das war es wohl, was Laschet ausdrücken wollte, nicht sehr nett und auch nicht richtig.
Laschet läßt ja überhaupt in Nebensätzen und Ausrutschern viel klarer erkennen, was er denkt, als in den wie auswendig gelernten Deklarationen. Das war es auch, was mich zuerst von dem mir weitgehend unbekannten Mann abrücken ließ. Ich will es aber nicht noch einmal aufwärmen, er ist ja dann mal weg.
 
 

Kommentar von Manfred Riemer, verfaßt am 07.09.2021 um 14.07 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1611#47042

Die Sonne steigt immerhin scheinbar auf, das liefert also schon eine gute Erklärung für das Wort Sonnenaufgang.

Aber wo ist so eine Erklärung für die "kleinste" gemeinsame Wirklichkeit, den "minimalen" Konsens? Nicht einmal scheinbar haben wir hier etwas Kleinstes bzw. Minimales.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 07.09.2021 um 04.49 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1611#47039

Zum Glück zwingt uns niemand, die allgemein übliche und verständliche Redeweise mathematisch beim Wort zu nehmen. Sonst müßten wir uns ja auch täglich über den "Sonnenaufgang" aufregen, wie einst die Allgemeine Semantik. Die Allgemeine Relativitätstheorie hat erst recht noch keinen Eingang in die Alltagssprache gefunden und wird es voraussichtlich nie.
 
 

Kommentar von Manfred Riemer, verfaßt am 06.09.2021 um 23.12 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1611#47037

Der kleinste gemeinsame Nenner von Brüchen ist immer größer als jeder einzelne Nenner oder zumindest genauso groß wie der größte von ihnen. Wie beim Konsens?
 
 

Kommentar von Stephan Fleischhauer, verfaßt am 06.09.2021 um 20.19 Uhr   Mail an
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1611#47035

Ich finde den Titel auch etwas mißverständlich.

Langenscheidt schreibt zu Minimalkonsens: kleinster gemeinsamer Nenner, auf den sich Gegner in einer Auseinandersetzung einigen können
https://de.langenscheidt.com/fremdwoerterbuch/minimalkonsens
Eine kleinstmögliche Zahl im Nenner bedeutet ja gerade nicht, daß der Bruch insgesamt klein ist. Aber die Wirklichkeit sollte wohl besser im Zähler stehen.

Wenn man sich "auf ein Minimum" einigt, ist alles, was darunter existiert, nicht mehr akzeptabel. Es wird eine Grenze definiert, über der man bleiben möchte.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 06.09.2021 um 11.58 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1611#47029

(Mein letzter Eintrag knüpfte an den Herrn Riemer wiederhergestellten an, bevor dieser verschwand.)

Ich glaube, das ist das Problem des Standpunktwechsels, vergleichbar mit dem "Ministerpräsidenten der ehemaligen DDR" (als er Ministerpräsident war, war die DDR noch keine ehemalige) usw. Das ist etwas "sloppy", wie die Linguisten sagen, aber im Kontext ohne Pedanterie verständlich.
 
 

Kommentar von Manfred Riemer, verfaßt am 06.09.2021 um 10.36 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1611#47028

Vielleicht steckt das Problem doch noch etwas tiefer, als ich in meinem letzten Absatz angedeutet habe, denn die Formulierung "Auf welchen Minimalkonsens über die Wirklichkeit können sich die Menschen einigen?" enthält natürlich denselben Fehler. Es wird zwar oft auch so gesagt, aber man sucht ja keinen Minimalkonsens (der wäre ebenso sinnlos wie der kleinste), sondern den Maximalkonsens, über den Einigkeit besteht.

Vom aktuellen Maximalkonsens geht man immer aus, aber der ist natürlich auch nicht in Stein gemeißelt, sondern kann sich im Laufe der wissenschaftlichen Forschung weiter vergrößern oder verkleinern.
 
 

Kommentar von Manfred Riemer, verfaßt am 06.09.2021 um 10.22 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1611#47027

Der verlorene Text von #47020, den ich am 05.09.2021 um 18.44 Uhr geschrieben hatte, lautete:

Welche Irrtümer doch die mathematischen Ausdrücke vom kleinsten gemeinsamen Nenner bzw. Vielfachen immer wieder verursachen! Die Wissenschaftsjournalistin Nguyen-Kim nennt ihren neuesten Bestseller "Die kleinste gemeinsame Wirklichkeit".

Diese erklärt sie mit wissenschaftlichem Konsens. Was soll aber die Rede von der kleinsten, wo doch der Konsens, also die gemeinsame Wirklichkeit, ein Mindestmaß haben und möglichst groß sein soll? Welche "gemeinsame Wirklichkeit" sie so auch immer finden mag, immer ist noch eine kleinere möglich, d.h. eine kleinste gibt es gar nicht bzw. wäre auch nicht gewollt. Das Bild paßt einfach nicht. Passen würde statt dessen das mathematische Gegenstück, der größte gemeinsame Teiler bzw. die größte gemeinsame Teilmenge.

Bei der meist schief angewandten Redewendung vom kleinsten gemeinsamen Nenner spielt neben der Verwechslung des Kleinsten mit dem Größten wohl auch die Verwechslung des Kleinsten mit dem Mindesten eine Rolle.
 
 

Kommentar von Stephan Fleischhauer, verfaßt am 06.09.2021 um 09.47 Uhr   Mail an
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1611#47026

Bei mir wird der vorletzte Kommentar nicht mehr angezeigt.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 06.09.2021 um 05.00 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1611#47022

Buchtitel interessieren mich (http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1504).

Frau Nguyen-Kim oder der Verlag (meistens ist es dieser) hat eine Formulierung gesucht, die ein bißchen paradox klingen und dadurch neugierig machen soll. Die Wirklichkeit ist ja ein und dieselbe für alle. Das Buch habe ich nicht gelesen (nur ein früheres, und ich fand, daß sie besser spricht als schreibt), aber ich nehme an, wir sollen denken: Auf welchen Minimalkonsens über die Wirklichkeit können sich die Menschen einigen? Das wäre in der Tat ein ungemein wichtiges Thema, denn die Querdenkerei ist allmählich zum Verzweifeln.

Wie dem auch sei, ich habe den Buchtitel nicht als verfehlt empfunden und tue es immer noch nicht, obwohl ich sonst natürlich Ihre Bedenken teile.
 
 

Kommentar von , verfaßt am 05.09.2021 um 18.44 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1611#47020


 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 07.07.2021 um 17.19 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1611#46414

Die wenigsten dürften das erwähnte Bohnenstroh wirklich gesehen haben. Ähnlich ist es mit der Gänsehaut. Das Geflügel liegt in der Tiefkühltruhe, und auch auf dem Markt bekommt man keinen zutreffenden Eindruck von der Haut einer frisch gerupften Gans.

Dumm wie Brot könnte auch vom muffig (landschaftlich = "dumm") gewordenen Brot stammen.

Der deutsche Verleger eines amerikanischen Bestsellers hat es sich angeeignet: David Perlmutter: Dumm wie Brot: Wie Weizen schleichend Ihr Gehirn zerstört.
Die Leser, die das Buch naturgemäß auch gekauft haben, sind begeistert. Zu jeder Ernährungsidee gehört eine gläubige Gemeinde.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 06.06.2021 um 06.06 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1611#46117

Noch einmal zu "dumm wie Bohnenstroh":

„Früher benutzten arme Leute zum Schlafen das Stroh von Futterbohnen als Matratze. Denn es kostete nichts und war auch einigermaßen weich. Außerdem konnten die Menschen es ab und zu leicht austauschen und durch frisches Stroh ersetzen. Die Wertlosigkeit von Bohnenstroh hat sich dann im Sprachgebrauch später auch auf geistige Eigenschaften übertragen, wodurch diese Redensart entstanden ist.“ (Geolino)

Axel Hacke übernimmt diese Erklärung in einem humoristischen Beitrag des SZ-Magazins und fügt hinzu:

„Aus grob wurde dumm, weil man Armut mit Dummheit gleichsetzte – was als Gedanke seinerseits so dämlich ist wie überhaupt die ganze Unterschätzung der Pflanzen durch die Menschen.“

Das klingt zeitgeistgemäß, ist aber nicht plausibel.

Vgl. das ältere strohdumm (= „taub“ wie Stroh, weil die Körner raus sind), daher: er ist so dumm als ein bund stroh (DWb)

Es dürfte auch nicht zutreffen, daß sich arme Leute nicht einmal Stroh leisten konnten. Wenn sie kein Land und kein Stroh für den Stall hatten, griffen sie auf Laubstreu zurück (was zur Verarmung der Wälder führte), aber für den Strohsack hat es wohl immer gereicht, das war keine Kostbarkeit.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 03.02.2021 um 06.45 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1611#45171

Der „Phrasenmäher“ der SZ nimmt sich heute die Floskel Stand heute vor, „mit Abstand die blödeste Formulierung der Gegenwart“. Nun, wahrscheinlich ist vielen von uns aufgefallen, wie schnell sie sich verbreitet hat (wie anderes, auch noch Blöderes), aber warum diese Empörung? Freilich gibt es Modewörter, die ganze Sprache besteht im Grund daraus. Es gehört zum Wesen der Weitergabe in „Stafettenkontinuität“, daß alles Neue als falsch oder jedenfalls ganz schrecklich gilt, bis man sich daran gewöhnt hat. Der Beobachter sieht es mit gemischtem Vergnügen.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 24.12.2020 um 08.25 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1611#44911

Beim Vorlesen aus der Zeitung stolpere ich über eine neue Mode, die sich rasend ausbreitet: und ja,...

Das Persönliche, aber auch unsere Gesellschaft und ja, auch unsere wirtschaftliche Kraft“, sagt die Pfarrerin.
Ich bin kein Apostel, ich bin auch kein Heilsbringer und ja, wir sind alle nur Menschen.
Eben die 100 Sprachen. Und ja, da war ich natürlich sehr froh.
Wir haben Prominente gefragt, wie sie feiern – und ja, auch Friedrich Merz


Warum stolpere ich? Weil es mir einen Ton aufzwingt, der nicht meiner ist.
 
 

Kommentar von Manfred Riemer, verfaßt am 01.12.2020 um 22.52 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1611#44795

Es geht vielleicht auch in die Richtung Hausname:
In meiner Heimatstadt im Erzgebirge, wo ich aufgewachsen bin, sagten die Leute immer, wir wohnten beim Weiser Bäck. Den Bäcker habe ich nie kennengelernt, niemand hieß dort so und das Ladenschaufenster im Erdgeschoß war verwaist, aber die Vermieterin war eine geborene Weiser.

In der Kleinstadt wurde aber der Name noch über viele Generationen aufrechterhalten. Mit der Hausnummer konnten die Leute meist nichts anfangen, aber das Haus des lange verstorbenen Weiser Bäck kannte immer noch jeder.
 
 

Kommentar von Gunther Chmela, verfaßt am 01.12.2020 um 20.12 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1611#44794

In Altbayern gibt es dazu eine nette Redensart. "Jeder bayrische Bauer hat drei Namen: Sepp heißt er, Bichler schreibt er sich, und der Sedlmoar ist er."
Letzters ist der Hausname, den jeder Hof hat. Man sagt auch nicht: "Frag den Bichler", sondern immer "frag den Sedlmoar".
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 01.12.2020 um 17.22 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1611#44793

Für sage und schreibe ist mir noch ein anderer möglicher Ursprung eingefallen. Früher waren in manchen ländlichen Regionen Hausnamen üblicher.
Vgl. die interessanten Einträge:
https://de.wikipedia.org/wiki/Hausname
https://de.wikipedia.org/wiki/Genanntname

Es gibt sie aber heute noch. Als meine Eltern in ein nordhessisches Dorf zogen, um dort ihren Lebensabend zu verbringen, bekamen sie den Namen Zils nach einer Familie, die das kleine Haus früher bewohnt hatte, wurden aber auch Greiner oder Geiser genannt. Als ich sie zum erstenmal besuchte und mich durchfragte, sagte ein Dorfbewohner: "Ach, Sie meinen Zils?" Eine Familie Schaumlöffel wurde Nolte genannt, der Gastwirt Scherp hieß Hofmann, Ellenberger hießen Bax, Kothe hießen wiederum Schaumlöffel, Fröhlich (in der Ecke, auch Eckenfröhlich) wurde auch Lange-Liesel genannt. Der Grund verlor sich oft im Dunkel der Geschichte, manches konnte noch aus Erzählungen der Eingesessenen erschlossen werden.

Wie aus den verlinkten Artikeln zu entnehmen, gab es also eine oder mehrere mündliche Namensformen und eine einzige für Urkunden. Es war also etwas Besonderes, wenn ein Amtsschreiber zu notieren hatte, daß ein Zeuge oder Vertragspartner sage und schreibe Ickler hieß und nicht sage Zils und schreibe Ickler.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 28.11.2020 um 05.10 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1611#44774

Das umgangssprachliche ausgerechnet könnte aus der Kaufmannssprache kommen, ebenso das ungeklärte sage und schreibe.

Vgl. Das kann ich dir schriftlich geben. Das kannst du schriftlich haben.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 28.11.2020 um 05.08 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1611#44773

Vielleicht aus biblischem Mann Gottes verkürzt, mit Unterdrückung des Tabuwortes?
 
 

Kommentar von Manfred Riemer, verfaßt am 27.11.2020 um 23.11 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1611#44772

»... Wasser von achtern in die Zentrale mannen«, sagt der Kommandant. Mannen? echot es in mir - Mann, o Mann, o Manometer! Mann Gottes! Wasser mannen! Etwa mit Pützen? Von Hand zu Hand?

(Das Boot, Lothar-Günther Buchheim, R. Piper & Co. Verlag, München 1973, Neuausgabe 1993, S. 487)
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 26.11.2020 um 06.37 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1611#44766

Woher eigentlich die Interjektion Junge Junge, o Mann, Mannomann kommt, ist anscheinend nicht klar. Vgl. oh boy, my boy usw.

Es gibt auch noch Verballhornungen wie Manometer!
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 24.11.2020 um 06.25 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1611#44758

Ganz besonders Patchwork-Familien stelle eine so unflexible Regelung vor die kaum zumutbare Entscheidung, wer mit unterm Weihnachtsbaum sitzen dürfe und wer nicht. (WELT 24.11.20)

Die häufige Wendung „unter dem Weihnachtsbaum“ wirft die Frage auf, wie groß ein Weihnachtsbaum sein muß, damit die Familie „darunter“ sitzen kann. Auf dem Dorfplatz haben sie dieses Jahr einen deutlich kleineren aufgestellt; ein paar Kinder könnten immerhin darunter sitzen. Aber in Familien? Es ist vielleicht zu verstehen wie „unter dem Gipfel des Watzmann“, also irgendwie niedriger.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 21.11.2020 um 05.51 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1611#44733

Bei Trumps juristischem Wadenbeißer Giuliani mußte ich denken: Für 20.000 Dollar am Tag würde der auch seine Großmutter verkaufen.

Aber woher kommt die Redewendung? Wem verkauft man seine Großmutter? Dem Teufel natürlich. Die Idee des Teufelspaktes hat zu bestimmten Zeiten die Menschen gefesselt. In Lexika wird zwar auch des Teufels Großmutter erwähnt (die wir aus Grimms Märchen kennen), aber diese Assoziation gehört wohl nicht hierher. Man verkauft dem Teufel seine eigene Seele oder einen Angehörigen. Das ist eine frühneuzeitliche Variante des noch viel älteren Opfergedankens.

(Kleine Spekulation: Man könnte ja auch seine Mutter oder seine Schwester verkaufen, aber dann denkt jeder gleich an Prostitution. Die Großmutter auf dem Altenteil gehört eher zum Inventar, und sie loszuwerden ist kein ganz abwegiger Wunsch. Verkaufen wir sie dem Teufel!)
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 23.10.2020 um 06.10 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1611#44553

Bidens Versicherung, er habe keinen Penny aus dem Ausland angenommen, erinnert uns daran, wie lange alte Währungen sprachlich überleben. Im Deutschen der Pfennig und die müde Mark, aber auch noch der Heller und der Taler bzw. Thaler.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 04.10.2020 um 05.09 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1611#44418

Nochmals zur Blickrichtung (http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1611#44410)

Die Blickrichtung läßt sich nur so weit aus der Kopfhaltung erschließen, wie das Tier einem Objekt nicht nur "mit den Augen folgt". Leider kann ich im Augenblick nichts darüber finden, welche Tiere das tun und in welchem Ausmaß. Fische bewegen die Augen, ohne den Körper zu drehen. Katzen offenbar auch, obwohl sie anders als Fische einen Hals (eigentlich "Dreher") haben.
Beobachtung und eigene Reaktion darauf sind koordiniert, deshalb richtet sich das ganze Tier tunlichst auf das beobachtete Objekt aus. Aber Stillhalten und nur mit den Augen folgen hat auch Vorteile.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 03.10.2020 um 17.40 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1611#44415

Ja, eben. Als besonderes Kennzeichen, individuell oder für eine Gruppe, taugen Hüte gerade deshalb, weil sie sonst nicht mehr üblich sind. Stattdessen allerlei "Sportswear", Turnschuhe...
Vielleicht spielt der Hang zum Sportlichen eine Rolle. Hüte muß man pflegen und auf die "Hutablage" legen, Kappen knüllt man irgendwohin.
Meine Frau fand Hüte schick und wollte mir einen verpassen, hat sich dann auf einen echten Panama beschränkt, den ich aber auch nie getragen habe. Inzwischen sorgt sie sich mehr um Sonnenschutz, Hautkrebsprophylaxe. Wir tragen manchmal beide einen kanadischen Ranger-Hut (Tilley). Das steht aber in einer ganz anderen Tradition und ist keine Wiederkehr des Hutes.
Wäre noch der Aluhut zu erwähnen (erschöpfend bei Wikipedia).
 
 

Kommentar von Erich Virch, verfaßt am 03.10.2020 um 14.44 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1611#44414

Ganz erfolglos waren die Hutproduzenten in jüngster Zeit nicht. Einige Jahre lang waren in der Popmusik kleine Hütchen geradezu Pflicht, und ältere Künstler nutzen dankbar die Gelegenheit, Schütteres zu verbergen. Jetzt ist die Mode wieder abgeklungen. Nur der Sänger Johannes Oerding muß seinen Deckel weiter tragen, weil ihn sein Publikum ohne nicht erkennt.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 03.10.2020 um 07.07 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1611#44411

Zur Blickrichtung:

Man bemerkt sogar aus dem Augenwinkel, ob uns jemand aus dem Augenwinkel ansieht, offenbar an der unnatürlichen Kopfhaltung. Man sollte sich nicht einbilden, daß eine Frau es nicht merkt, wenn man sie verstohlen betrachtet, auch wenn sie nicht herblickt. Man merkt wiederum, daß sie sich nichts anmerken läßt. Das sind Bereiche, in denen wir eine komplexe Gestaltwahrnehmung lebenslang geübt haben.
Übertrieben scheint es, daß wir sogar merken, wenn jemand hinter uns seinen Blick auf unseren Hinterkopf richtet, wo mancher dann ein Prickeln zu spüren glaubt. Aber wer weiß? Es gibt viele Begleitumstände (cues), die eine solche Einbildung nicht ganz unbegründet erscheinen lassen. Zum Beispiel: Der Mensch hinter uns müßte etwas anderes tun, wenn er nicht damit beschäftigt wäre, uns zu beobachten; also beobachtet er uns. Augenspiel, „Äugeln“ (veraltet).
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 03.10.2020 um 06.47 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1611#44410

Die "Schlafmütze" ist praktisch nur noch metaphorisch in Gebrauch, aber früher scheint es üblich gewesen zu sein, sich zum Schlafen eine Mütze überzuziehen. Bei Wilhelm Busch ist das selbstverständlich. Auch in den ungeheizten Wohnzimmern trug man Mützen. Heute versucht die Textilindustrie die "Indoor-Mütze" zu verkaufen. Aber im allgemeinen ist es der Wirtschaft nicht gelungen, den Hut wieder populär zu machen. Es gibt allerlei Mützen, Baseballkappen und vor allem den Kapuzenpulli, der allerdings auch von den Migranten („Messermännern“, „Intensivtätern“) getragen wird und daher vielleicht wieder ein Nischenprodukt werden könnte.

(Was kann man noch verkaufen, wenn alle alles haben? Farbiger Nagellack für Männer wird beworben, zunächst noch für „gesunde Fingernägel“; er paßt aber in eine Zeit, da Männer nicht mehr „Männer“ sein wollen und Bücher darüber schreiben.)

Noch unsere Väter gingen kaum ohne Hut aus dem Haus. Auf älteren Fotos und in Filmen tragen alle Männer Hut, in amerikanischen sogar im Zimmer (was uns fast so befremdete wie die Füße auf dem Tisch). Was wäre Oelzes „Erwartung“ ohne die Hüte?

Die "Hutablage" im Auto wurde frei für die Klopapiermütze und den Wackeldackel. Diese Umwidmung ist ein Beispiel für kulturelle Exaptation.

Zum Wackeldackel vgl. Wikipedia, mit interessanten Links. Der Werbeclip mit dem Wackel-Elvis im Audi ist übrigens bei Youtube noch zu sehen.

Nach Zahavi haben Hüte, Helme usw. ebenso wie große Nasen, bei Tieren auch Kämme, Hauben, Geweihe und sonstige Erweiterungen den Zweck, die Blickrichtung erkennbarer zu machen.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 03.09.2020 um 17.07 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1611#44272

Jemandem die Zunge lösen – das bezog sich auf die beliebte Methode, Sprachstörungen (vor allem bei Kindern, auch präventiv bei Neugeborenen) durch Durchtrennen des Zungenbändchens zu behandeln – nutzlos wie Aderlaß usw. Es gibt nur sehr selten Verwachsungen, die chirurgisch beseitigt werden müssen.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 31.08.2020 um 18.41 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1611#44234

Haare auf den Zähnen zu haben wird praktisch nur Frauen nachgesagt, besonders den sogenannten "Drachen" (mit typischem Geschlechtswechsel).

Die üblichen Erklärungen der Redewendung kommen mir ziemlich ad hoc vor. Sie beruhen auf dem Gedanken, daß starke Behaarung männlich ist und diese Frauen halt "ihren Mann stehen", weil sie sogar auf den Zähnen Haare haben. Ein wilder Gedanke, aber vielleicht stimmt er ja.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 03.08.2020 um 06.00 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1611#44030

Manchmal bin ich in Versuchung, die Redensart vom "alten Wein in neuen Schläuchen" anzuwenden, und überlege dann, ob es vielleicht umgekehrt richtig wäre. Und dann fällt mir auf, daß es sowieso nicht paßt und von Jesus anders gemeint war. Aber man liest die falsche Anwendung beinahe jeden Tag, sie hat sich verselbständigt wie der "kleinste gemeinsame Nenner".
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 07.07.2020 um 11.42 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1611#43869

Irgendwann werde ich vielleicht die Zusätze erklären können in:

Verdammt noch mal! So ein Mist aber auch!

Antiklimax zur Verharmlosung der eigentlich religiösen Fluchformel: Verflixt und zugenäht! Himmel, Arsch und Zwirn!

(In anderem Zusammenhang: Schlagring, Brille, Muff)
 
 

Kommentar von Manfred Riemer, verfaßt am 07.07.2020 um 11.35 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1611#43868

Ich kenne "Ach du griene Neine" auch seit meiner Kindheit im Erzgebirge, würde auf jeden Fall auch auf die Erklärung mit der Spielkarte wetten.

Bedeutungsgleich gibt es erzgebirgisch noch
"O du Ugelick" (o kurz: O du Unglück),
"O du grußer Gott",
"Ach du Sch."
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 07.07.2020 um 06.19 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1611#43864

Der Ausruf "Ach du grüne Neune!" dürfte vielen nicht mehr bekannt sein und war wohl immer regional beschränkt. Mir ist es seit meiner Kindheit vertraut, meine Frau kennt es von ihrem Vater (Berliner), aber hier in Bayern habe ich es nie gehört. Zur Herkunft ziemlich überraschend: https://de.wikipedia.org/wiki/Gr%C3%BCne_Neune

Ein Bezug auf Spielkarten kommt mir wahrscheinlich vor. Man sollte aber bedenken, daß viele solcher Redensarten euphemistisch verzerrte ursprünglich religiöse Ausdrücke sind, deren Lästerlichkeit (Gott, Jesus, Teufel, Hölle anzurufen) entschärft wird. Ein Anknüpfungspunkt ließe sich vielleicht finden, auch wenn es oft ziemlich umwegig hergegangen ist.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 23.11.2019 um 04.58 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1611#42450

Zu http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1611#30257

Eine ähnliche "unlogische" Verschiebung haben wir in:

Er tut sein Möglichstes = "alles, was ihm möglich ist; auch das Allerletzte, was möglich ist", nicht: "das, was besonders möglich/am möglichsten ist". Eigentlich ist möglich ja nicht steigerbar.

Auch oft: Ich werde mein Allermöglichstes tun!
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 19.10.2019 um 03.03 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1611#42268

Zu http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1611#41473

Es fehlt noch: Das sage ich hier in aller Deutlichkeit.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 18.10.2019 um 18.35 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1611#42263

Das schon einmal erwähnte Bohnenstroh versteht jeder in der Wendung dumm wie Bohnenstroh, obwohl niemand sagen kann, wie dumm Bohnenstroh ist.

Gerade lese ich von Michel Barniers schlohweißem Haar. Das Haar ist weiß wie Schloh, klarer Fall oder?
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 05.06.2019 um 12.52 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1611#41635

Der frühere Bundesfinanzminister Peer Steinbrück (SPD) sieht seine Partei in schwerem Fahrwasser. „Die Lage der SPD ist unzweifelhaft sehr existenziell.“ (welt.de 5.6.19)

Notlage wollte er wohl nicht sagen, obwohl dies das übliche Partnerwort zu existentiell ist.

Zum selben Thema liest man auch:

Die Lage der SPD ist nach dem Rücktritt von Andrea Nahles desolat. Doch Finanzminister Olaf Scholz glaubt trotzdem, dass seine Partei nach der kommenden Bundestagswahl den Kanzler stellen könnte. "Die Chance, stärkste Partei zu werden, ist bei der nächsten Bundestagswahl deutlich größer als in vielen Jahren zuvor", sagte der Bundesfinanzminister dem "Stern". (stern.de 5.6.19)

Scholz glaubt, dass SPD stärkste Kraft bei Bundestagswahl werden kann (welt.de 5.6.19)

Ob Scholz das glaubt, kann die Zeitung natürlich nicht wissen, er sagt es bloß. Aber diese Verkürzung ist schon so üblich, daß sie meistens problemlos verstanden wird.
 
 

Kommentar von Manfred Riemer, verfaßt am 14.05.2019 um 16.55 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1611#41473

Ich möchte nicht wirklich den Fokus darauf richten, was das mit uns macht, wenn wir Geld in die Hand nehmen, um zeitnah von A nach B zu kommen. Es geht um einen Paradigmenwechsel, da bin ich ganz bei Ihnen, man muß sich dazu - ja! - ganzheitlich neu erfinden, aber am Ende des Tages haben wir eine Win-Win-Situation. Laßt uns das ergebnisoffen neu denken und diese Erzählung leben!
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 14.01.2019 um 05.02 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1611#40561

Schneekönig ist so ausschließlich in die bekannte Redensart eingebaut, daß man wenigstens hierzulande gar nicht mehr auf den Gedanken kommt, daß es wirklich Schneekönige gibt, nämlich Zaunkönige.

Ich bin darauf gekommen, weil die Zeitung wieder mal ein Foto von Martin Schulz bringt, der beziehungslos neben dem grämlich blickenden Sigmar Gabriel sitzt und in die Kamera strahlt.
 
 

Kommentar von Manfred Riemer, verfaßt am 07.01.2018 um 17.50 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1611#37515

Wer oder was trifft wen oder was?
Würde auch zum Eintrag "Wortstellung" passen.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 07.01.2018 um 07.49 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1611#37514

Das Hochwasser rollt nach Norden (Tagesspiegel)

Wie Lawinen, die auch rollen wie riesige Schneebälle. (So haben wir uns als Kinder die Lawinen vorgestellt.)

Trump und sein Umfeld trifft „Fire and Fury“ mitten ins Mark (welt.de)

Kontamination von „ins Mark“ und „mitten ins Herz“.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 22.10.2017 um 05.31 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1611#36721

Dass die Gunst des Automobils in der Öffentlichkeit sinkt... (FAS 22.10.17)

= Daß das Automobil in der Gunst der Öffentlichkeit sinkt...

Offenbar Vermischung mit Ansehen, weil das Wort Gunst nicht mehr richtig verstanden wird. Es kommt hauptsächlich in wenigen festen Verbindungen vor. Der Duden kennzeichnet einige Verwendungen als "gehoben" oder "veraltend", ab nur knapp und nicht sehr klar. Die Schreibweisen zugunsten/zuungunsten usw. haben wir schon diskutiert. Bemerkenswert ist das Fehlen des Umlauts, der eigentlich zu erwarten wäre, vgl. günstig. Weiteres im Deutschen Wörterbuch.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 03.10.2017 um 04.46 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1611#36427

bekanntlich (und die Abtönungspartikel ja) hat zwei scheinbar gegensätzliche Funktionen.

Wenn man etwas erwähnt, das so bekannt ist, daß man sich für die Erwähnung entschuldigen muß, deutet man mit bekanntlich an, daß man nichts Neues zu sagen beansprucht.

Man kann aber auch etwas ganz Entlegenes so markieren und damit beim Hörer Eindruck schinden. Das leitet sich von der ersten Funktion ab,ist gewissermaßen deren mißbräuchliche Ausübung oder die unbescheidene Verwendung einer Bescheidenheitsfloskel.

In diesem Tagebuch kommt bekanntlich bisher gut 700mal vor...
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 10.09.2017 um 04.16 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1611#36158

Man geht jemandem auf die Nerven oder auf den Geist, aber auch auf den Zeiger, den Zwirn (so Jens Spahn kürzlich), den Docht, den Senkel und sicher noch vieles andere. Die Leerstelle kann anscheinend beliebig gefüllt werden, der Rahmen führt immer zu derselben Auslegung. Das ist eine interessante Ergänzung zur Suche nach dem "treffenden Wort".
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 04.09.2017 um 07.23 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1611#36127

Zur Zeit ist die "klare Kante" endemisch, die jemand "zeigt". Beim letzten Bundestagswahlkampf hat die FAZ das schon mal kommentiert, auch auf die Nähe zur Säuferredensart hingewiesen. Herkunft unklar.
Wer gerade nicht regiert, kann natürlich drastischer reden. Umgekehrt setzt sich ein tatsächlich regierender Trump unter Zugzwang, wenn er mit Waffen droht und sie dann doch nicht einsetzt (gar nicht einsetzen kann).
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 09.07.2017 um 12.14 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1611#35649

"Das liegt im Rahmen des Möglichen", bemerkte dazu die Präsidentin der G20, Angela Merkel, ohne eine Mine zu verziehen." (dw 8.7.17)

Ungemein häufiger Fehler. Dazu trägt vielleicht bei, daß selbst Sprecher, die das Wort Miene durchaus kennen, den Zusammenhang mit der seltsamen Redensart nicht gleich sehen.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 08.07.2017 um 10.43 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1611#35634

In der Zeitung ein Bild aus dem 19. Jahrhundert, das ein Kind am "Gängelband" zeigt. Weiteres beim schönen Wikipedia-Eintrag und dazu jede Menge Bilder bei Google. Eigentlich naheliegend, aber ich hatte mir nie Gedanken gemacht, wo das Wort herkommt, dachte vielleicht eher flüchtig an Pferde-Longe.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 17.04.2017 um 07.12 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1611#34895

Noch einmal zu http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1611#25619

Wenn zwei Sätze aufeinander folgen, sagt der zweite entweder etwas ähnliches wie der erste oder etwas Gegensätzliches, oder er ist einfach neu. Im ersten Fall neigen wir sehr dazu, ein auch (oder ein Synonym davon) einzufügen, im zweiten ein aber, im dritten vielleicht nun oder gar nichts, während die alten Griechen hier unweigerlich die Partikel de setzten.

Diese geglätteten, gegenüber dem Leser so konzilianten Übergänge werden in Fachsprachen gemieden – um so mehr, je fachlicher und mathematischer sie sind.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 27.02.2017 um 10.25 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1611#34602

Zu einschleppen gibt Duden an:

"ein Schiff [in den Hafen] einschleppen

(eine Krankheit, Seuche) an einen Ort mitbringen und auf andere übertragen"

-
Am häufigsten ist der Gebrauch im Zusammenhang mit Krankheiten, dann aber auch Schädlingen aller Art bis hin zu Waschbären und Dingos. Dagegen ist die Sache mit den Schiffen eher selten. Die Reihenfolge der Bedeutungsangaben richtet sich stillschweigend nach der Bedeutungsentwicklung.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 07.11.2016 um 09.46 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1611#33787

Zu http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1611#25795

Das hübsche Bild von der "Verkapselung", das auf John Lyons zurückgeht, muß natürlich nichtmetaphorisch rekonstruiert werden.

Wer Wörter wie winken, zwinkern, treten, greifen, beißen verwendet, dessen Sprachverhalten wird durch Hände, Augen, Füße, Zähne usw. gesteuert - wohlgemerkt, durch diese Gegenstände, nicht durch ihre Bezeichnungen. (Darum habe ich mich auch in dem genannten Eintrag entsprechend ausgedrückt.) Freilich liegen die Bezeichnungen oft sehr nahe, so daß Porzigs "wesenhafte Bedeutungsbeziehungen" zum Zuge kommen, anders gesagt: schielen aktiviert Augen, wie sich sowohl in Texten als auch in Assoziationsexperimenten nachweisen läßt. Trotzdem ist der Unterschied wichtig. Ob etwas nur wahrgenommen (bzw. vorgestellt) oder auch sprachlich kategorisiert wird, ist sogar ein sehr großer Unterrschied. Einmal, weil viele Gegenstände gar nicht die eine Standardbezeichnung haben, sondern je nach Kontext und Situation mal so, mal so benannt werden. Zum zweiten, weil die Wahrnehmung holistisch sein kann und die Analyse nicht so einfach ist. Nehmen wir das Beispiel lächeln. Jeder erkennt ein Lächeln sofort, und gewiß ist der Mund beteiligt, aber das ist nicht alles (s. Lexikonartikel, auch über Duchenne-Lächeln usw.); es muß z. B. auch vom Grinsen unterschieden werden.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 04.10.2016 um 17.38 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1611#33452

Übrigens haben kürzlich zwei Linguisten unabhängig voneinander die Redensart Wie geil (usw.) ist DAS denn? untersucht. Wen es interessiert:

http://www.linguistik.uni-mainz.de/mitarbeiter/finkbeiner/publikationen/wie_deutsch.pdf

https://www.degruyter.com/downloadpdf/j/zfgl.2016.44.issue-1/zgl-2016-0003/zgl-2016-0003.xml
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 01.10.2016 um 14.18 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1611#33427

Wörter wie Mitgift, Aussteuer werden fast nur noch übertragen gebraucht, weil sie im eigentlichen Sinn zusammen mit der Sache überraschend schnell verschwunden sind.
Aus den Familien, in denen ich gelebt habe oder mit denen ich verschwägert bin, sind mir noch die Kisten und Truhen in Erinnerung, die vor allem Bett- und Tischwäsche sowie Tafelsilber enthielten, angesammelt in Generationen und nie benutzt. Erst kürzlich hatten wir noch mit solchen Sachen zu tun, die einst sehr wertvollen Leinenlaken, Damastdecken usw. stockfleckig und sowieso nicht brauchbar, weil man keine Dienstmädchen mehr hat, die das alles "mangeln", bügeln, flicken und das ständig schwarz anlaufende Silber alle paar Monate putzen. Besonders die Silberlöffel schenkte man den Enkeln weiter, vielleicht schon zur Taufe, und dann lagen sie wieder einige Jahrzehnte in gepolsterten Schatullen. Zierliche Teesiebe, Bonbonnieren. Das Schenken war das Wesentliche, die Symbolik, daher auch die ziselierte, betont unpraktische Ausführung.

Die Voraussetzungen sind heute anders, man hat keinen Platz für so sinnlos gewordenes Zeug, und der Antiquitätenhändler winkt auch ab.

Im Internet haben die lieben Verwandten und Bekannten ihre Listen mit erwünschten Hochzeitsgeschenken stehen, und am besten ist sowieso Geld. Mitgift klingt ja auch komisch.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 30.09.2016 um 02.53 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1611#33409

Zu http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1611#30457

Das Windei kommt für die meisten Menschen nur als Metapher vor, da die wenigsten Hühner halten und die Fehlbildung aus eigener Anschauung kennen. Es ist aber nicht phraseologisch gebunden wie Kirchenmaus, Bohnenstroh, Rohrspatz, Wildbahn, Anhieb usw.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 12.05.2016 um 05.44 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1611#32560

Mit sogenannt wird eine gewisse Distanzierung ausgedrückt. Scheinbar anders ist es, wenn man damit einen neu einzuführenden Begriff versieht: Der sogenannte Schrühbrand... Der gemeinsame Nenner wird erkennbar, wenn ich umschreibe: So heißt das nun mal, ich kann es nicht ändern. Also auch hier Distanzierung, keine zweite Bedeutung.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 08.11.2015 um 16.03 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1611#30512

Sehr schön! Und vielen Dank wieder mal Ihnen und allen anderen, die mir so gute Belege geliefert haben – manche davon werde ich hemmungslos verwenden.
 
 

Kommentar von Manfred Riemer, verfaßt am 08.11.2015 um 12.15 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1611#30510

Hier noch zwei aktuelle Beispiele zu #30256/#30257, also zum autoklitischen Gebrauch:

MM, 7.11.15, S. 29:
[Der Steinpilz] schmeckt gebraten ebenso gut wie als rohes Carpaccio, dient gern als Beilage zu Fleisch.

MM, 8.11.15, S. 5:
Es bleibt warm: Die Winterjacke kann in den kommenden Tagen getrost im Schrank bleiben.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 05.11.2015 um 04.59 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1611#30457

In Redensarten sind bekanntlich oft Wörter und Wendungen aus alten Zeiten enthalten, die heute kaum noch verstanden und manchmal volksetymologisch umgedeutet werden.

Ich habe hier beiläufig mal das Bohnenstroh erwähnt, das heute kaum noch jemand kennen dürfte. Ebenso das Windei, das früher jedes Kind kannte, weil man eben auf dem Lande lebte und Hühner hielt. Im Supermarkt wird man vergeblich danach suchen. (Ich habe als Kind mal eins gefunden und weiß noch genau, wie es sich anfühlt.)

Anderes bei Röhrich oder Storfer.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 17.10.2015 um 05.59 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1611#30268

Bei GRAMMIS vom IdS gibt es verschiedene Belege:

http://hypermedia.ids-mannheim.de/call/public/gramwb.ansicht?v_app=g&v_kat=Konnektor&v_id=2062

Übrigens ist bei erstaunlichen vielen Wörtern dieses Lexikons die Zeile der Bedeutungsangaben leer gelassen (sogar bei noch und schon; manche Bedeutungsangaben sind so verklausuliert, daß man ohne die Beispiele kaum erraten könnte, um welches Wort es sich handelt. "Ein Sprecher signalisiert mit sogar, dass das Zutreffen des im Trägerkonnekt ausgedrückten Sachverhalts auf das Denotat der fokussierten Konstituente seine Erwartung übertrifft und deshalb außergewöhnlich ist." Sieht man sich die Belege an, kann man kaum erkennen, welche "Erwartungen" der Sprecher gehabt haben könnte und warum er das dem Hörer mitteilen wollen sollte.
 
 

Kommentar von R. M., verfaßt am 16.10.2015 um 20.48 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1611#30266

Das letzte Beispiel geht nur ohne die Klammer. Ebenfalls als bekräftigende und etwas gehobene Form. So könnte man vor Gericht auf die Frage antworten, ob der Betreffende auch geraucht hat (wie die anderen), nicht aber auf die Frage, ob er nur getrunken hat. Aber das ist ja hier gemeint, also nein.

Die anderen drei Sätze sind ebenfalls unmöglich.
 
 

Kommentar von Wolfram Metz, verfaßt am 16.10.2015 um 18.10 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1611#30264

Ebenfalls das noch!
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 16.10.2015 um 17.06 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1611#30262

Gerhard Helbig bringt in seinem Lexikon deutscher Partikeln folgende Beispiele für die Gradpartikel ebenfalls:

Ebenfalls Peter ist nach Hause gegangen.

Peter ebenfalls ist nach Hause gegangen.

Er ist in Berlin ebenfalls gewesen.

Er hat ebenfalls geraucht (nicht nur getrunken).


Das kommt mir alles sehr ungewöhnlich, wenn nicht geradezu falsch vor. Man kann auch (in einer seiner Verwendungen) nicht einfach durch ebenfalls ersetzen.
 
 

Kommentar von Germanist, verfaßt am 16.10.2015 um 12.19 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1611#30258

Partikel sind nützlich, wenn sie dem Verständnis des Lesers helfen, und überflüssig, wenn sie eine Wertung des Verfassers darstellen und der Artikel nicht ausdrücklich als eine solche bezeichnet ist.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 16.10.2015 um 09.42 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1611#30257

An den letzten Beispielen kann man gut sehen, daß die Partikel nicht zu dem Satz gehört, in dem sie steht, sondern auf einer anderen "Ebene" operiert (aber diese Metapher möchte ich vermeiden). Das ist so ähnlich wie bei Du kannst mich gern besuchen, wo ja das gern ebenfalls den Sprechakt kommentiert ("Ich erlaube dir gern, mich zu besuchen"), aber nach Art der Alltagssprache in den kommentierten Satz gerutscht ist.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 16.10.2015 um 05.57 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1611#30256

Wenn es nur um die Mitteilung ginge, wären Sätze ohne autoklitische Mittel ausreichend. Mathematische Formeln enthalten daher keine. Der implizite Kommentar zu einer Mitteilung oder einer Aufforderung gibt zu verstehen, daß der Sprecher die augenblickliche Situation des Hörers berücksichtigt, vor allem den jeweiligen Informationsstand. Diese Rücksichtnahme auf den Hörer wirkt höflicher, "verbindlicher".

Wenn der Sprecher ein auch oder ebenfalls einfügt, kann der Kommentar etwa so umschrieben werden: „Du hast bemerkt, daß ich mich wiederhole, aber das liegt nicht an mir, sondern ist vom Sachverhalt diktiert.“ Damit entgeht der Sprecher der Bestrafung, die der Hörer wegen der gebotenen Wiederholungsvermeidung bereithalten könnte:

Die Mutter war blond, und der Sohn war ebenfalls blond.

Bei Mengen- und Zahlenangaben könnte der Sinn eines nur oder sogar darin bestehen, dem Hörer die wenn auch noch so geringfügige Rechenarbeit abzunehmen. Die Mitteilung riecht dann weniger nach Mathematik.

Daß zwei weniger als drei ist, weiß man doch sowieso, ebenso, daß Nürnberg näher ist als München und man folglich in Dieser Zug fährt nicht bis München, sondern bis Nürnberg nicht eigens darauf hinzuweisen braucht. Trotzdem ist die Einfügung von nur fast zwingend (wenn man von Würzburg kommt).
Die übliche Erklärung, daß nur/sogar einen Widerspruch zum Erwarteten signalisieren, scheint in manchen Fällen unzutreffend, weil von solchen Erwartungen keine Rede sein kann.

Wie der autoklitische Gebrauch funktioniert, sieht man hier:

Fragen Sie nur!

Das bedeutet ja nicht: "Tun Sie nichts anderes als fragen!", sondern: "Ich sage nichts als: Fragen Sie!"

Beide nur im selben Satz:

Wie kann ein Bischofsitz nur 31,5 Millionen Euro kosten? Das fragen sich nicht nur viele Limburger, die ihren Bischof Franz-Peter Tebartz-van Elst immer lauter zum Rücktritt auffordern.
(Focus 11.10.13)

Der erste Satz bedeutet ja nicht, daß der Bischofsitz (sic) erstaunlich billig ist, sondern: "Ich frage nur, wie kann ein Bischofssitz so teuer sein?"
 
 

Kommentar von R. M., verfaßt am 15.10.2015 um 08.54 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1611#30248

Ohne diese Partikeln wirkt ein Text parataktisch. Sie koppeln die Sätze aneinander wie in gesprochener Sprache ein »und« (das schriftsprachlich am Satzanfang in der Regel vermieden wird).
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 15.10.2015 um 07.59 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1611#30247

Die Beispielsätze im vorigen Eintrag könnten in einer Textaufgabe vorkommen. Der Schüler würde bei der Umsetzung in eine rechenbare Formel die Gradpartikeln weglassen - ein schöner Beweis für ihren logisch überflüssigen Charkater. Ähnlich:

Noch im 5. Jh. beginnt man, Bühnenstücke nicht nur zu sehen und zu hören, sondern auch zu lesen. (Wolfgang Kullmann/Michael Reichel (Hg.): Der Übergang von der Mündlichkeit zur Literatur bei den Griechen. Tübingen 1990:28)

Hier könnte ebensogut schon stehen, so daß man meinen könnte, noch und schon bedeuteten dasselbe, während sie in Wirklichkeit einander entgegengesetzt sind. Das ist aber kein Problem, denn man kann mit verschiedenen "Programmen" denselben Effekt erzielen. (Man denke an jenes sich vor jemanden stellen/sich hinter jemanden stellen - verschiedene Bilder mit gleichem Effekt.)

noch zieht ein Ereignis zum Vorigen, schon zum Folgenden. In einer tabellarischen Darstellung der griechischen Geschichte (Ploetz' Daten etwa oder Steins Kulturfahrplan), dem Äquivalent zu den Formeln der Mathematik, würde all dies wegfallen.

Die interessante Frage bleibt jedoch: Warum machen wir das so?

(schon steht außerdem im Gegensatz zu erst.)
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 14.10.2015 um 05.36 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1611#30244

Auch zu http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1611#25619

Wie in meinem Fachsprachenbuch dargelegt, werden beim Übergang vom Fachtext zum Sachtext die menschlich-allzumenschlichen Verstehensbedingungen wieder berücksichtigt. Bei Mengenangaben zum Beispiel tritt neben die spröde Mathematik und Logik der "Appell an die Staunensfähigkeit", wie ich es von 20 Jahren genannt habe. Beispiel:

Familie A hat zwei Autos, Familie B nur eins. (Wieso nur? Man sieht doch, daß es weniger ist.)
Familie B hat ein Auto, Familie B sogar zwei. (Das ist die Umkehrung.)

Diese "unwissenschaftlichen" Gradpartikeln müssen in einer umfassenden Theorie des autoklitischen Sprachverhaltens dargestellt werden.
 
 

Kommentar von Germanist, verfaßt am 30.06.2015 um 23.17 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1611#29310

Der Bundesregierung wird vorgeworfen, sie betreibe die "Lateinamerikanisierung" Südeuropas. Das geht doch garnicht mit Ländern, in denen nicht einmal eine neulateinische Sprache gesprochen wird. Und daß es den Griechen so schlecht geht, ist darauf zurückzuführen, daß sie vor dem Griechischlernen nicht zuerst Latein lernen müssen, wie es an deutschen Schulen Vorschrift ist. Griechisch lernen ohne Lateinkenntnisse, man sieht ja, wo das hinführt. :-)
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 28.06.2015 um 10.00 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1611#29291

Im Alltag verwenden wir viele redensartliche Ausdrücke, deren Herkunft oft nicht klar ist. Zum Beispiel zur Zurückweisung: Papperlapapp, Pustekuchen, denkste!, von wegen!, so siehst du aus! usw.

Bei so siehst du aus! spürt man noch die Ironie wie in ausgerechnet du (sagst das), während von wegen! aus der Rechtssprache zu stammen scheint.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 19.04.2015 um 06.36 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1611#28653

Aus der sprachlichen Unterwelt:

Mühsam nährt sich das Eichhörnchen.

Das sind so Sprüche, die jeder kennt, auch wenn sie nicht literaturfähig geworden sind. Die Herkunft ist unbekannt, aber wenn es nicht in einem Lesebuch gestanden hat, sondern von frechen Schülern erfunden wurde, ist der betuliche Ton doch gut getroffen.

Normalerweise werden wirkliche Sätze variiert: Was tun, spricht Zeus, die Götter sind besoffen. (nach Schiller)

Nemo dat, quod non hat. (nach einer wirklichen Rechtsmaxime)

Letzteres fand ich in eine Berliner Schulbank geritzt, aber es ist auch anderswo bekannt und im Internet zu finden, wie fast alles, was man zuerst für einen Augenblickseinfall hält.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 08.03.2015 um 09.58 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1611#28274

Redensarten werden heute oft nicht mehr verstanden, sei es, daß die jungen Leute weniger lesen und auch weniger Konversation mit der älteren Generation haben, sei es wegen Migrationshintergrund. Sie werden dann auch falsch geschrieben.

Wir sehen hier einen Kampf auf Leben und tot (BILD-Unterschrift unter dem komischen Weaselpecker-Foto)

Da ich gerade bei Redensarten bin:

zur Urne gehen (Amtsdt.): i. S. v. zur Wahl gehen (Duden: Die richtige Wortwahl)

Wohl eher Journalistendeutsch.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 05.10.2014 um 16.01 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1611#26941

O dass ich unbekannte Sätze hätte, seltsame Aussprüche, neue Rede, die noch nicht vorgekommen ist, frei von Wiederholungen, keine überlieferten Sprüche, die die Vorfahren gesagt haben.

Was ist das? Sprachskepsis um 1900? Ja, aber v. Chr.! (Klage des Chacheperreseneb, zitiert nach Jan Assmann)
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 13.05.2014 um 09.04 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1611#25808

Eine Autofahrerin nahm einen autistischen Anhalter mit. Unterwegs sagte sie in irgendeinem Zusammenhang: "Mir platzt der Kopf." Er bestand ziemlich erregt darauf, daß sie diesen Satz zurücknehme.
Autisten verstehen alles wörtlich, keine Ironie und keine Metaphern.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 09.05.2014 um 06.36 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1611#25795

mit Füßen treten - womit sonst?
mit Händen greifen - womit sonst?

In den Verben sind die Körperteile bereits "verkapselt", insofern handelt es sich bei den (biblischen) Redewendungen um Pleonasmen. Das Motiv scheint zu sein, daß gerade dadurch die Verbbedeutung bekräftigt wird: "wirklich und wahrhaftig treten, greifen". Hierher auch: mit eigenen Augen gesehen haben. Und Platens: wer die Schönheit angeschaut mit Augen....
 
 

Kommentar von Kurt Albert, verfaßt am 30.04.2014 um 19.04 Uhr   Mail an
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1611#25731

Nachtrag

Ein Beispiel für einen weniger distanzierten als kommentierten Gebrauch von Phraseologismen erhielt ich jüngst. Eine Yogalehrerin schrieb mir per E-Mail (indem sie mich einlud, ihren neuen Kurs zu besuchen):
"Sie kennen ja das nette Sprichwort: Wer rastet, der rostet."

 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 19.04.2014 um 05.32 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1611#25629

Ja, natürlich! Sogar fast hundertprozentig. Die Existenz des Klischees ist sozusagen die logische Voraussetzung der Distanzierung. Andernfalls würde eben das Ganze aus Redensart und Vorbehaltssignal zur neuen Redensart.
 
 

Kommentar von Kurt Albert, verfaßt am 18.04.2014 um 18.44 Uhr   Mail an
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1611#25628

Indessen werden Redensarten und Sprichwörter – nach wie vor – in sehr vielen Fällen auch direkt, ohne distanzierende Signale verwendet.
(Belege aus der Pressesprache findet man leicht unter www.wortschatz.uni-leipzig.de.)
 
 

Kommentar von R. M., verfaßt am 16.04.2014 um 21.15 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1611#25623

"Avoid clichés like the plague" (William Safire).
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 16.04.2014 um 12.04 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1611#25619

Weder noch. Es ist nur eine Beobachtung. Mit den modrigen Pilzen spiele ich auf Hofmannsthals vielzitierte Sprachskepsis im Chandos-Brief an. Der Ekel vor dem Abgedroschenen ist nicht allgemein verbreitet, mehr wollte ich dazu nicht sagen.
Auf die Markierung des Wiederholten (also die Vermeidung der Wiederholungsvermeidung) hatte ich an anderer Stelle schon mal hingewiesen. Mein Beispiel war: Aus der Nähe besehen, sind sie (die Elstern) allerdings recht bunt: der Kopf schillert grün, die Flügel glänzen – besonders im Sonnenlicht – blau, violett und ebenfalls grün.
Hier muß aus sachlichen Gründen das Wort grün wiederholt werden, und diese Notwendigkeit wird gewissermaßen rechtfertigend durch ebenfalls markiert - logisch überflüssig, weil man ja sieht, daß nichts anderes als grün stehen kann, wenn die Flügel nun mal grün sind. Aber so erklärt sich manches auch usw. - Wenn bei einer mathematischen Berechnung 5 herauskommt und dann nochmal 5, dann steht das eben so da und wird nicht durch auch/ebenfalls eigens markiert. Aber die Gemeinsprache funktioniert anders. Ich kann praktisch nicht sagen Meine älteste Tochter ist blónd, und die jüngste ist blónd.
 
 

Kommentar von Manfred Riemer, verfaßt am 16.04.2014 um 10.13 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1611#25618

So weit, so gut, nur ist mir jetzt nicht klar, ist das nun eine Empfehlung, solche entschärfenden Signale zu benutzen oder sind wir nur zu mokant und empfindlich? Sind es nun modrige Klischees oder ist es kraftvoll Bewährtes? Wie sollte man das berücksichtigen, anerkennend oder entschuldigend?
 
 

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