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Theodor Icklers Sprachtagebuch

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16.08.2013
 

Ad fontes
Priscian und die deutsche Wortstellung

Otto Behaghel und andere haben vermutet, daß die Endstellung des deutschen Verbs im Nebensatz auf lateinischen Einfluß zurückgehen könnte. Das will ich hier nicht diskutieren. In einem neuen Buch heißt es dazu:

"Gegen die These des lateinischen Einflusses spricht auch die Tatsache, dass sich lateinische Grammatiker für eine andere Verbstellung aussprechen. So im folgenden Zitat aus der Grammatik des Priscian (512-560 n. Chr.):

[...] primo loco nomen, secundo verbum posuerunt, quippe cum nulla oratio sine iis completur [...] (zit. n. Fleischmann 1973:47-48)
[...] an die erste Stelle stellten [die vorbildlichen Schriftsteller] das Nomen, an die zweite das Verb, da überhaupt keine Äußerung ohne sie beendet werden kann [...] (Übersetzung J. F.)“
(Jürg Fleischer/Oliver Schallert: Historische Syntax des Deutschen. Eine Einführung. Tübingen 2011:171)

Nun ist es von vornherein nicht plausibel, daß ausgerechnet Priscian, der vielleicht kein großer Denker, aber doch ein Kenner der lateinischen Sprache und Literatur war, die Verbzweitstellung, die in weniger als 10 Prozent der lateinischen Sätze vorkommen dürfte, für die Normalstellung gehalten hat. Sehen wir uns den Originaltext an:

Solet quaeri causa ordinis elementorum, quare a ante b et cetera; sic etiam de ordinatione casuum et generum et temporum et ipsarum partium orationis solet quaeri. Restat igitur de supra dictis tractare, et primum de ordinatione partium orationis, quamvis quidam suae solacium imperitiae quaerentes aiunt, non opportere de huiuscemodi rebus quaerere, suspicantes fortuitas esse ordinationum positiones. Sed quantum ad eorum opinionem, evenit generaliter nihil per ordinationem accipi nec contra ordinationem peccari, quod existimare penitus stultum. Si autem in quibusdam concedant esse ordinationem, necesse est etiam omnibus eam concedere. Sicut igitur apta ordinatione perfecta redditur oratio, sic ordinatione apta traditae sunt a doctissimis artium scriptoribus partes orationis, cum primo loco nomen, secundo verbum posuerunt, quippe cum nulla oratio sine iis completur, quod licet ostendere a constructione, quae continet paene omnes partes orationis. A qua si tollas nomen aut verbum, imperfecta fit oratio; sin autem cetera subtrahas omnia, non necesse est orationem deficere, ut si dicas, 'idem homo lapsus heu hodie concidit,' en omnes insunt partes orationis absque coniunctione, quae si addatur, aliam orationem exigit. Ergo si tollas nomen aut verbum, deficiet oratio, desiderans vel nomen vel verbum...Ante verbum quoque necessario ponitur nomen, quia agere et pati substantiae est proprium, in qua est positio nominum, ex quibus proprietas verbi, id est actio et passio, nascitur.

(Also sogar sein eigener Beispielsatz würde ihn widerlegen!)

Priscian sieht, Apollonios Dyskolos folgend, den er hier streckenweise übersetzt, im Substantiv (nomen) die wichtigste Wortart, weil es die Substanz bezeichnet, an der sich, immer nach Aristoteles, die vom Verb bezeichneten Akzidentien (symbebekota) abwechseln. Deshalb komme im Satz zuerst das Substantiv und später (aber nicht unbedingt in Zweitstellung!) das Verb.



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