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07.08.2015
 

Her mit der Kleinschreibung!
Zehn Jahre Rechtschreib-Reförmchen

Die neuen Regeln für korrektes Deutsch sind in den Köpfen vieler Menschen immer noch nicht angekommen. Unsicherheit und Zweifelsfälle bleiben. Und in den neuen Medien schreibt ohnehin jeder, wie es ihm gefällt.

Schüler früherer Generationen erinnern sich ungern, so manchem ist die Lust auf kreatives Schreiben vergällt worden: Wer sich mit der Rechtschreibung abmühte, hatte im Deutschunterricht wenig zu lachen. Stets waren Schularbeiten von Korrekturen übersät, die Noten entsprechend lausig. Da konnte der Inhalt noch so vielversprechend sein.
1996 wurde geplagten Aufsatzschreibern Linderung in orthografischer Hinsicht verheißen: Die deutsche Rechtschreibung wurde reformiert. Einfacher, logischer und von jedem Ballast befreit sollte fürderhin geschrieben werden. Schließlich konnte niemand nachvollziehbar erklären, warum vor der Reform in bezug auf kleingeschrieben, mit Bezug auf dagegen großgeschrieben wurde. Scharen von Germanisten hatten jahrelang an der Entrümpelung der verschriftlichten Sprache getüftelt. Begleitet wurde ihre Arbeit von Zwischenrufen: Autoren, Verlage und natürlich Politiker sorgten dafür, dass die Reform einen schweren Stand hatte. Sogar Höchstgerichte wurden - vergeblich - angerufen, um die neue Rechtschreibung zu Fall zu bringen.
Entsprechend schleppend sickerte das Regelwerk in die Köpfe der Menschen. Erst am 1. August 2005 wurde die Rechtschreibung neu an Schulen und Ämtern zur Pflicht. Die Kritik aber blieb. Schon 2006 mussten einige besonders umstrittene Schreibweisen erneut abgeändert werden - die Reform der Reform.
Zweifelsfälle gibt es trotzdem noch zuhauf. So darf man im Winter eislaufen (zusammengeschrieben), kann in dieser Jahreszeit aber nicht Rad fahren (getrennt). Die richtige Variante zu erwischen erfordert Expertentum, Gefühl oder schlicht Glück. Und sogar der Duden, der Hüter der deutschen Sprache, wurde zunehmend pragmatisch: Er erkennt in vielen Fällen mehrere Schreibweisen an. So kann man recht haben oder Recht haben.
Seit zehn Jahren ist die neue Rechtschreibung nun also mehr oder weniger in Verwendung. Ihre Reform geriet zum Reförmchen. Die angestrebte Befreiung aus einem engen Korsett fand nicht statt. Es fehlte der Mut zu mehr. Die Groß- und Kleinschreibung etwa hätte man zugunsten genereller Kleinschreibung (wie im Englischen) abschaffen können. Das mag anfänglich zwar im Auge schmerzen, eine echte Erleichterung wäre es aber allemal.
Vielleicht aber folgt eine weitere Reform. Geschrieben wird heute nämlich überwiegend in sozialen Medien. Da ist Rechtschreibung, wie wir sie kennen, längst außer Kraft.


Quelle: Tiroler Tageszeitung
Link: http://www.ots.at/presseaussendung/OTS_20150806_OTS0126/tiroler-tageszeitung-ausgabe-vom-7-august-2015-leitartikel-von-markus-schramek-zehn-jahre-rechtschreib-refoermchen

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Kommentare zu »Zehn Jahre Rechtschreib-Reförmchen«
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Kommentar von Chr. Schaefer, verfaßt am 13.08.2015 um 09.00 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=thorheiten&id=203#1589

Es ist mir ein Rätsel, wieso man immer wieder das Englische als Beispiel für "generelle Kleinschreibung" heranzieht. Die Groß- und Kleinschreibungskonventionen im Englischen sind außerordentlich kompliziert und nicht weniger schwierig zu lernen als die der herkömmlichen deutschen Orthographie, von der reformierten ganz zu schweigen.

 

Kommentar von Horst Ludwig, verfaßt am 16.08.2015 um 13.27 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=thorheiten&id=203#1590

Zu "Die Groß- und Kleinschreibungskonventionen im Englischen sind außerordentlich kompliziert": In der britischen Verschriftung mit ihrem von oben nach unten immer noch eifrig und ziemlich erfolgreich gelehrten System sicher. Im amerikanischen System geht alles jedoch viel legerer zu. Selbst in Überschriften kommt's auch in seriösesten Druckmedien klein auf klein außer bei Namen, und keiner regt sich auf. Sicher gibt's Fälle, wo man was noch mal lesen muß, um es richtig zu verstehen, naja, aber das nimmt man ohne weitere Erregung in Kauf. Die normale deutsche Groß- und Kleinschreibung (*Normale deutsche Rechtschreibung: Sinnvoll schreiben, trennen, Zeichen setzen*) ist natürlich besser; aber ein Grund ist auch, daß wir sie haben.

 

Kommentar von Chr. Schaefer, verfaßt am 17.08.2015 um 09.06 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=thorheiten&id=203#1591

Lieber Herr Ludwig, um ehrlich zu sein: ich verstehe Ihren Beitrag nicht. Gerade in US-Medien gelten sehr strenge und komplizierte Regeln für die Groß- und Kleinschreibung in Überschriften, während es meiner Lese-Erfahrung nach gerade britische Publikationen hier ziemlich locker sehen.

Ansonsten ist "außer bei Namen" keine sinnvolle Richtschnur, denn was ist ein "Name" (oder richtiger: "Eigenname")? An der Definition des "Eigennamens" sind ja auch Augst & Co gescheitert.

Um nur ein paar Beispiele zu nennen: ethnische, geographische oder sprachliche sowie einige andere Bezeichnungen werden unabhängig von der Wortart groß geschrieben: "English laws", "the American people". Das führt u.a. zu Binnengroßschreibungen wie "anti-American attitude", "post-British rule". Ist das einfach?

Und wo zieht man die Grenze? Monats- und Tagesnamen (January, Tuesday) werden groß geschrieben, Bezeichnungen für Währungen oder Maßeinheiten aber nicht (ton bzw. tonne, dollar, euro). Schließlich nicht zu vergessen die Religion: "God", aber "gods".

Das und vieles mehr (im Refermerjargon: "enzyklpädisches Wissen") muß man wissen, um orthographisch korrektes Englisch zu schreiben.

 

Kommentar von Horst Ludwig, verfaßt am 23.08.2015 um 11.49 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=thorheiten&id=203#1595

"Namen" genügt hier eigentlich, um die Studenten zu einigermaßen richtiger (genauer) Schreibung bei bestimmten Schwierigkeiten anzuleiten (southern states <=> Southern states). Zu God vs. gods: Naja, das hängt eben davon ab, wie sehr allein der Gott der Christen genannt ist - und wie sehr der Schreiber an dem nicht zweifelt.

Aber überhaupt ehrlich: Ich verstehe sehr gut, daß man im deutschen Bildungssystem meinen Beitrag nicht so leicht versteht. Eigentlich ist hier in der sprachforschung.org für mich Herr Achenbach (den ich sehr schätze) immer der, der die Probleme der englischen Sprech- und Schreibweise sehr gut kennt und auch alle ihre Lösungen weiß (wie ja auch schon Jespersen), wozu ich eben halt auch hin und wieder mal etwas lächle, weil ich täglich Kontakt mit allem möglichen hinterwäldlichen, aber durchaus auch vorderwäldlichem gesprochenen und geschriebenen amerikanischen Englisch habe. "I ain't go no money no more" ist eben Englisch ganz natürlich vom Maul des Sprechers, wie er leibt und lebt, und ältester germanischer Tradition entsprechend ist es auch (wo ja ein "doppelter Negativ" immer ein verstärkter Negativ war und auch wir ja heute noch singend übern See auf einem hölzern Wu-urzen fahren, wo kein Ruder nicht dran war, und wo der mathematische Positiv eine ganz andere Formulierung verlangt als es die arme Grundschullehrerin und viele andere in ihrem Gefolge, aber auch auf weit höheren Bildungsstufen so vorbildlich denken).

Und wenn meine regionale Tageszeitung die Silbentrennung dem offenbar unfähigen Rechner überläßt und so mir das schnelle Lesen manchmal etwas erschwert und die überregionale mir eigentlich doch recht Pingeligem überfreudig mitteilt, "More than 700 people in the neighborhood helped created the Connections Mural over the past six months", rege ich mich da auf und schreibe denen das? Manchmal möchte ich's ja sogar, - aber dann tue ich es doch nicht. Und wenn nationale Nachrichtensprecher - jedoch nicht die besten, sagen wir mal die zweitrangigen - mir ganz klare Ausdrucksfehler begehen und z. B. "center around" sagen, wo doch ganz eindeutig "organize around" und "center on" einzig richtig sind, nicht wahr, schüttele ich da den Kopf ob deren Unverständnis des feinen Instruments Sprache? Wenn mein Rechnerschreibprogramm mir die Möglichkeit "Save As" bietet, wo doch in Titeln eigentlich bestenfalls nur mehrsilbige Präpositionen groß geschrieben werden, ist das ein Grund, sich an die eigentliche Groß- und Kleinschreibung des Englischen zu erinnern?

Am Kaffeetisch und im Unterricht weise ich vielleicht bei gegebenem Anlaß auf sowas hin, aber weiter nehmen weder ich noch andere das richtig ernst; es ist kein Thema. Bei der Rechtschreibreform der deutschen Kultusminister rege ich mich jedoch auf, und das sollte jeder tun, die ist ein Thema, denn hier geht's im rausgeschmissene Steuergelder und wirklichen Schaden. Und da sollten Leute ihren Job verlieren, denn sie können offenbar nicht das, was sie können sollen, und kosten bloß Geld.

 

Kommentar von Klaus Achenbach, verfaßt am 24.08.2015 um 23.41 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=thorheiten&id=203#1596

Lieber Herr Schaefer,

englisches und deutsches Verständnis von Orthographie lassen sich nicht so einfach gleichsetzen. Aus englischer Sicht reduziert sich Rechtschreibung im wesentlichen auf das spelling. Einzelheiten der Zeichensetzung, der GKS und erst recht der GZS zählen dort zum style oder zur Typographie und sind nicht allgemeinverbindlich festgelegt. Natürlich lernen die Schulkinder dort auch Grundregeln der Zeichensetzung und der Großschreibung. Das ist in etwa mit der amtlichen deutschen Rechtschreibung von 1901 zu vergleichen, die GKS und GZS nur sehr kursorisch behandelte.

Die Feinheiten sind jedoch Gegenstand der sog. style books, die im Einzelnen durchaus voneinander abweichen. Die Feinheiten der Schreibung von Überschriften sind für die große Mehrheit der Angelsachsen völlig unwichtig, da sie kaum welche schreiben. Der gewissenhafte Deutsche kommt schon eher in die Lage, darüber grübeln zu müssen, ob es nun im wesentlichen oder im Wesentlichen heißt.

Zur Schreibung post-British rule: der Deutsche sieht hier eine Zusammensetzung und wundert sich über die „Binnengroßschreibung“. Der Angelsachse sieht hier keine Zusammensetzung und würde sich wundern, wenn hier entgegen der allgemeinen Regel British kleingeschrieben würde.

Die Unterscheidung zwischen der Gattungsbezeichnung gott und dem Namen des christlichen Gotts stellt doch kein Problem dar, sondern versteht sich von selbst. Im Deutschen ist diese Unterscheidung durch die allgemeine Großschreibung nur überdeckt.

 

Kommentar von Chr. Schaefer, verfaßt am 25.08.2015 um 10.16 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=thorheiten&id=203#1597

Lieber Herr Achenbach,

ich sehe nicht, wo wir der Sache nach auseinanderliegen. Das "Chicago Manual of Style", um nur ein Beispiel zu nennen, hatte ich vor Jahren auf dieser Website schon einmal erwähnt.

Ausgangspunkt war aber die Kritik an dem Zeitungsartikel, der die Groß- und Kleinschreibung nach dem englischen Muster als Vereinfachung darstellt, was definitiv nicht der Fall ist. Hätte der Autor Französisch oder Italienisch gewählt, sähe die Sache anders aus.

 

Kommentar von R. M., verfaßt am 25.08.2015 um 14.39 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=thorheiten&id=203#1598

Der Name des christlichen Gottes ist nicht »Gott«. Handelt es sich trotzdem um Namensgroßschreibung? Only God knows.

 

Kommentar von Horst Ludwig, verfaßt am 25.08.2015 um 23.43 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=thorheiten&id=203#1599

"God" und für den, der's so will, auch die unmittelbaren Pronominalformen dazu schreibt man groß; das fällt unter "honorific capitalization". Da haben wir auch die Adjektive German, Asian, Catholic, Republican und Bezeichnungen wie His Holiness, Her Excellence, Queen/President/Ms. X, First Lady und derartiges. Wahrscheinlich richtet man sich auch an der University of Chicago nach dem *Chicago Manual of Style*, sicher doch wohl in deren Verlag. Aber bei so mancher Zeitungsschreibe finden wir nur "catholic", als ob man nicht zwischen "catholic" und "Catholic" unterscheiden sollte, und "baptist" liest man auch durchaus nicht selten. Können die nicht richtig schreiben?

 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 04.09.2015 um 06.23 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=thorheiten&id=203#1600

Gott wird (wie Vater usw.) teils als Appellativum, teils als Eigenname gebraucht, mit den bekannten grammatischen Folgen. Dazu:

Mosebach: Religionsgeschichtlich ist völlig klar, dass Christen und Muslime sich vor demselben Gott niederwerfen. Der Islam spricht vom »Gott Abrahams«, das tun Juden und Christen auch.

Kermani: Das Wort Allah bedeutet Gott. Es meint keinen Spezialgott. Arabische Christen sagen auch Allah, wenn sie Gott meinen. Und wenn ich Deutsch rede, sage ich Gott, nicht Allah. Die ständige Verwendung von Allah im Deutschen ist Ausdruck einer Exotisierung, einer Aus- und Abgrenzung, die von Islamisten wie von Islamgegnern betrieben wird. (SZ Magazin 35/15)

Wenn es nur einen Gott gibt, dann glauben alle, die an einen Gott glauben, irgendwie an denselben Gott, auch wenn sie verschiedene (also auch falsche) Vorstellungen damit verbinden. Es ist eine alte philosophische Frage, wie man die Identität eines Gegenstandes oder eines Individuums beweisen kann, zumal wenn es keine Adresse in Raum und Zeit hat, auf die man zeigen könnte.

Übrigens wirft eine Äußerung Mosesbachs wieder das Problem auf, das ich im Zusammenhang mit dem Religionsunterricht schon erwähnt hatte:

Der durchschnittliche Christ kennt seine Religion nicht mehr.

Das könnte heißen: Manche Menschen wissen nicht, was sie glauben. Aber es heißt wohl: Viele Christen wissen nicht, was die Religionsgesellschaft, deren Mitglieder sie sind, als verbindlichen Glauben lehrt. In diesem Sinne sollen ja auch Kinder "ihren Glauben kennenlernen". Eine andere Frage ist, warum der Staat dies als Aufgabe des öffentlichen Schulwesens ansieht.

 

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